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Was der Mensch säet … Schauspiel von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
17.12.2024
ISBN:
978-3-68912-405-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 206 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane
Anpassungsdruck, Attentat, Dramatik, Entmenschlichung, Familienkonflikt, Flucht, Gesellschaftliche Schuld, Gesellschaftskritik, Gestapo, Hoffnung, Ideologie, Ideologischer Gehorsam, Kriegshintergrund, Kriegsschicksale, Kriegsverbrechen, Machtmissbrauch, Machtspiele, Manipulation, Menschlichkeit, Moralischer Konflikt, Moralischer Zerfall, Opportunismus, Partisanen, Propaganda, Russland, Schuld, Schuld und Verantwortung, Soldatenschicksale, SS, Stalingrad, Systemkritik, Totalitarismus, Tragödie, Überleben, Unterdrückung, Verantwortung, Verrat, Verräter, Verstrickung, Wahrheitssuche, Wehrmacht, Widerstand, Widerstandskämpfer, Zivilcourage, Zweiter Weltkrieg
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Anprobierraum im Herrenmaßgeschäft von PANNWITZ. Im Hintergrund Fenster mit Scheibengardinen. Rechts offener, großer Schrank mit auf Bügeln hängenden Anzügen. Links Zugang durch eine schwere Samtportiere. In der Mitte des Raums, etwas nach hinten, zwei bewegliche hohe Standspiegel (die in einen solchen Winkel zueinander zu stellen sind, dass man sich von allen Seiten betrachten kann). Mehrere Anprobierbüsten mit halb fertigen Herrenjacketts, eine Büste mit einem Generalswaffenrock. Ein Strohsessel und Taburetts. – PANNWITZ nimmt bei dem Oberstudienrat LIPPE die erste Anprobe seiner neuen SS-Sturmführeruniform vor, während FRAU OBERSTUDIENRAT diesen bedeutsamen Akt überwacht und DER ALTE ANDRÄ, einen Uniformärmel über seiner Schulter, sich die Korrekturen seines Chefs, notiert. – Der 20. Juni 1941.

 

PANNWITZ (um Lippe herumgehend): Man sollte nicht meinen, dass Herr Oberstudienrat jemals Zivilist waren; Herr Oberstudienrat sind in die Uniform wie hineingeboren!

LIPPE: Ich nehme diese Auszeichnung keineswegs für mich allein in Anspruch, lieber Pannwitz; ein Volk, das nicht in den Waffenrock hineingeboren wurde, wird niemals sein Lebensrecht sich erstreiten und behaupten können, (hebt seinen Arm) Mir scheint das rechte Armloch etwas zu eng.

PANNWITZ: Wird sofort behoben, (macht unter dem Arm einen Kreidestrich) Herr Oberstudienrat befehlen doch eine militärisch grade Schulter?

FRAU OBERSTUDIENRAT: Hören Sie, Pannwitz, mir kommt’s so vor, als habe mein Mann in der Uniform einen Buckel.

PANNWITZ (entsetzt): Aber gnädige Frau, solch ein Wort existiert in gar keiner Weise in dem Lexikon der Firma Pannwitz! Die Uniform sitzt wie angehaucht an der Plastik Ihres Gatten! Wenn Herr Oberstudienrat selbst kontrollieren wollen? (richtet die beiden Standspiegel ein)

LIPPE: Mir scheint der Rücken in Ordnung.

FRAU OBERSTUDIENRAT: In Ordnung? (zieht Lippe die Schultern zurück: streng) Steh grade, Wilhelm! Kopf hoch! Sehen Sie, wie jetzt die Uniform im Rücken Falten wirft!

PANNWITZ: Aber verzeihen, gnädige Frau, die natürliche Haltung von Herrn Oberstudienrat …

FRAU OBERSTUDIENRAT (herrisch): Es handelt sich hier nicht um „natürliche Haltung“ und nicht um „Herrn Oberstudienrat“, sondern um den Hauptsturmführer der SS Lippe; ich dulde da keinerlei Buckel!

LIPPE: Rege dich nicht auf, Hermine!

FRAU OBERSTUDIENRAT: Falls du ewig wie ein Schreibtischkuli aussehn willst, und falls man das hier nicht fertigbringt …

DER ALTE ANDRÄ: Man bringt hier alles fertig, Madame; das wäre ja noch schöner! Aber wenn der Mensch 20 Jahre seinen Schreibtischbuckel hat und man boxt ihm dann in den Rücken. Dass er dasteht wie ein Denkmal …

FRAU OBERSTUDIENRAT: Wer steht hier wie ein Denkmal?!

PANNWITZ: Wir werden den Rücken umarbeiten, Andrä!

DER ALTE ANDRÄ: Nee, nee, Herr Pannwitz, alles was recht ist, wir haben doch auch unsre Prinzipien. Ich meine, wenn einer, der seinen kleinen Zivilbuckel hat, plötzlich stramm steht, dass der Rock hinten Falten wirft, so sagt der alte Andrä, das ist unnatürlich, das hält der Mensch vielleicht ’ne Viertelstunde aus, aber nicht sein ganzes Leben; und wenn der Mensch dann wieder natürlich steht, ritschratsch, platzt der Rock aus den Nähten; auch so ein Rock hat da seine Prinzipien!

LIPPE: Hören Sie, alter Freund, Sie sind ja offenbar ein ganz großer Philosoph; bloß Ihre Weisheit von den natürlichen Prinzipien ist ein bisschen vermottet. Heute weht ein anderer Wind, und es wird bald noch ganz etwas andres aus den Nähten platzen.

DER ALTE ANDRÄ: Wohl wieder so 'ne kleine Überraschung?

FRAU OBERSTUDIENRAT: Ja, da werden die Schneiderlein Mund und Nase aufsperren!

PANNWITZ (vertraulich); Oh, ich verstehe …

LIPPE: Was verstehen Sie?

PANNWITZ: Es dürfte Herrn Oberstudienrat bekannt sein, dass mein Sohn Dieter als Leutnant einer Panzertruppe im Westen stand; gestern traf er mit seinem Regiment ganz unerwartet hier ein, nachdem das Unternehmen „Seelöwe“ gegen England abgeblasen wurde und stattdessen …

LIPPE (nervös): Lassen wir das! Machen Sie, dass der Rock sitzt, stramm und dauerhaft, und Tempo, Tempo! (hat den Waffenrock ausgezogen)

DER ALTE ANDRÄ: Donnerschlag, auch der General Westernhagen will seine Uniform in drei Tagen haben; da soll wohl mal wieder ’ne ganz große Naht platzen?

PANNWITZ: Gehen Sie, Andrä, und setzen Sie noch einen guten Rockschneider dran!

 

DER ALTE ANDRÄ mit Rock links ab

 

LIPPE (scharf): Hören Sie, Pannwitz, wenn Ihr Sohn mit seinem Panzerregiment hier an die Ostgrenze geworfen wurde, so rate ich Ihnen dringend, Ihre Weisheit nicht in alle Welt hinauszuposaunen!

PANNWITZ: Aber, Herr Oberstudienrat, jeder kann doch mit eigenen Augen sehen, wie in der letzten Woche eine Division nach der andern hier eintrifft.

LIPPE (ihn fixierend): Und das Unternehmen „Seelöwe“ gegen England … wieso ist das abgeblasen? Mein Lieber, das sind so wohl die Weisheiten des Sanitätsrat Dr. Feld!

PANNWITZ (erschrocken): Ich habe mit dem Herrn Sanitätsrat, seitdem sein Sohn ins KZ kam, nicht das allergeringste mehr zu tun.

FRAU OBERSTUDIENRAT (die einen Sommerstoff in einem Regal betrachtet, großspurig): Ja, das wissen allerdings nur gewisse Kreise. Diesen Sommer werden wir wohl in ein anderes Seebad gehn als nach Zoppot. Ich brauchte solch einen eleganten, wärmeren Herrenstoff, Pannwitz: denn in Riga oder Petersburg ist es am Strande doch wohl etwas kühl?

LIPPE: Hermine, ich bitte dich entschieden!

 

GENERAL WESTERNHAGEN in Zivil mit seinem Sohn, dem Leutnant THILO, ist durch die Portiere eingetreten …

 

GENERAL: Verzeihung, ich traf niemanden im Laden …

PANNWITZ: Meine jungen Leute liefen wohl alle unsern Panzermännern entgegen, Herr General.

GENERAL: Falls ich störe …

LIPPE: Durchaus nicht, Herr General. Unsre Verrichtung hier ist beendet.

GENERAL (sich verbeugend): Gnädige Frau! (vorstellend) Dies mein Jüngster, Thilo! Kam gestern gänzlich unerwartet mit seinem Regiment hier an. Ist ja ein mächtiger Umtrieb im Städtchen, man erwartet so allerhand.

LIPPE: Ich denke, Herr General werden nicht allzu lange mehr zu warten haben!

GENERAL: Habe mich dafür reaktivieren und meine alte Rüstung etwas modernisieren lassen, (nimmt Anprobepuppe mit Generalsuniform) Da hängt sie ja! Stammt noch aus dem I. Orlog. Thilo will kontrollieren, ob alles vorschriftsmäßig ist. Wir Alten sind da noch etwas zurückgeblieben.

LIPPE: Ich zweifle nicht, diesmal wird auch Herr General von der Größe des Unternehmens mitgerissen werden!

FRAU OBERSTUDIENRAT: Ja, wir alle sind schon Feuer und Flamme und treffen grade unsre letzten Vorbereitungen!

THILO: Was sagte ich dir, Vater: Das ganze Volk ist wie ein Mann bereit!

GENERAL: Nun, gebe Gott, dass es auch diesmal gut geht!

LIPPE: Wer kann daran zweifeln? Wenn das Genie und die weitgespannte Großschau des Führers die Sache anpackt, so wird auch Gott dazu ja sagen müssen. – Gestatten Herr General, dass ich mich verabschiede!

 

LIPPE und FRAU OBERSTUDIENRAT links ab …

 

PANNWITZ (nimmt die Generalsuniform von der Büste und hilft Westernhagen, der seinen Zivilrock abgelegt hat, in den Waffenrock): Darf ich gehorsamst bitten, Herr General? Ich denke, Herr General sind jetzt, soweit es in meinen schwachen Kräften steht, marschbereit!

GENERAL: Wie findest du die alte Rüstung. Thilo?

THILO: Durchaus vorschriftsmäßig. Papa! Wenn die Ordensspange und dein altes EK I. darauf ist, so siehst du in dem Waffenrock direkt erstklassig aus, direkt menschlich.

GENERAL (lächelnd): Und vorher in Zivil, was war ich da?

PANNWITZ (an dem Waffenrock mit einigen Kreidestrichen korrigierend); Herr Leutnant wollten wohl sehr richtig bemerken, dass ein Mensch ohne Uniform sich sozusagen präsentiert wie eine Zigarre ohne Bauchbinde und eine Weinflasche ohne Etikett; es kann Wasser oder noch etwas Schlimmeres in der Flasche sein.

GENERAL: Siehst du, Thilo, so eine Flasche war dein Papa!

PANNWITZ (bestürzt): Herr General …

GENERAL: Schon gut, Pannwitz; aber wissen Sie, so wie mein Thilo hier ein scharfer Kommissknopf ist, ebenso kann mein Ältester, der Manfred, der Flieger, nicht schnell genug auf Urlaub die Uniform ausziehen und sich ins Räuberzivil werfen.

THILO (gereizt): Aber kann Manfred sich denn erlauben, defaitistische Ansichten über unser hiesiges Unternehmen im Osten zu vertreten, Ansichten, die kaum von ihm selbst stammen dürften, Papa!

GENERAL: Sondern?

THILO: Von jenem mehr als zweifelhaften Volksgenossen, dem Manfred heute einen Besuch abstattete …

GENERAL: Wem?

THILO: Jenem Sanitätsrat Dr. Feld!

GENERAL: Was ist schon dabei, wenn er dem alten Herrn, der manche Nacht als Arzt bei euch Buben am Bett saß und euch zur Beruhigung Märchen und Geschichten erzählte …

THILO (scharf): Und heute erzählt er hier andre Geschichten: dass die Sache – wenn es gegen Russland gehe – schlimm auslaufen werde.

PANNWITZ: Unerhört! Da versteht man, weshalb sein Sohn ins KZ kam!

THILO: Und dem Alten hat die HJ heute früh die Fenster eingeworfen; ich denke, bevor das Unternehmen „Barbarossa“ steigt, muss man all diesen Miesmachern und Verrätern gründlich das Maul stopfen!

PANNWITZ (erregt): Wie, glauben Herr General, werden wir in einem Monat in Petersburg und Moskau sein?

GENERAL (streng): Ich halte es in Ihrem Interesse für zweckmäßig, Herr Pannwitz, diese mehr als indiskrete Frage nicht gehört zu haben!

PANNWITZ (bestürzt): Nein, Herr General haben in der Tat diese Frage nicht gehört …

 

Von links durch die Portiere schnell Pfarrer KRANZ, der Sanitätsrat Dr. FELD mit sich zieht. Dr. FELD ist ein 70-jähriger leicht gebeugter Mann mit weißem Haar und Knebelbart; er trägt einen grauen Gehrock und geht an einem Stock …

 

KRANZ (atemlos): Hier können Sie sich vorerst sicher fühlen, Herr Sanitätsrat, und ein wenig verschnaufen! (drückt ihn in den Sessel) Sie gestatten doch, Herr Pannwitz?

PANNWITZ: Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf …

KRANZ: Herr General, es hat meiner ganzen Autorität als Pfarrer bedurft, um unseren alten Doktor vor Misshandlungen durch eine entfesselte Jugend zu bewahren!

THILO: Vielleicht können Sie uns sagen. Herr Pfarrer, wodurch die Jugend … so entfesselt war?

KRANZ: Ich weiß nicht, welchen Anlass der Herr Doktor gab; ich weiß nur, dass Herr Doktor vielen dieser Jungens als Arzt das Leben rettete, dass er …

Dr. FELD (aufstehend): Lassen Sie das, lieber Herr Pfarrer, das alles war einmal.

THILO: Gut, dass Sie wenigstens das erkennen, Herr Doktor, dieses: Das war einmal! Denn heute leben wir in einer anderen Zeit, in einer gewaltigen Zeit, in einer deutschen Zeit, deren Gesicht und Gestalt für die nächsten tausend Jahre der Führer bestimmt! Und wer sich durch feiges oder böswilliges Geschwätz dagegenstellt, der wird zerschmettert!

Dr. FELD (ruhig): Mag sein, ich werde zerschmettert werden; doch ich fürchte, ich werde da nicht der einzige sein.

THILO: Toll, so was!

PANNWITZ: Herr Doktor, ich muss Sie bitten, solche Reden in keiner Weise hier in meinem Geschäft zu führen!

GENERAL: Sie sollten begreifen, Herr Doktor, dass es heute nicht um irgendeine persönlich zu vertretende Ansicht geht, sondern um das ernste Schicksal unsres Volkes!

Dr. FELD: Gewiss, Herr General, um das ernste Schicksal unsres Volkes.

THILO: Von dem sich gewisse Russlandfreunde, Verräter und Konzentrationslagerinsassen von selbst ausschließen!

Dr. FELD: Falls Sie, Herr Leutnant, gewisse Konzentrationslagerinsassen mit Verrätern identifizieren, so irren Sie meiner Meinung nach; und falls Sie etwa auf meinen unglücklichen Sohn zielen sollten …

PANNWITZ (durch die Portiere schauend): Um Himmels willen schweigen Sie!

KRANZ: Davon war doch nicht die Rede, Herr Doktor!

Dr. FELD: Grade davon war die Rede, nicht wahr, Herr Leutnant! (bewegt) Und grade weil ich alter Mann mit wundem Herzen fühle, wie sehr es in diesem Augenblick um das Schicksal unsres Volkes geht, wie sehr mein in dem Konzentrationslager verstorbener Sohn …

THILO: Bei dem Russlandbroschüren gefunden wurden …

Dr. FELD: Der sogar das Verbrechen beging, an ein friedliches Leben dieser beiden Völker zu glauben – jawohl, und weil ich jetzt an der Ostgrenze unsres Landes täglich Divisionen um Divisionen von uns aufmarschieren sehe …

THILO: Wollen Sie das nicht noch lauter hinausschreien!

Dr. FELD (mit zunehmender Erregung): … aufmarschieren sehe zu einem Zweifrontenkrieg … Herr General, Sie werden aus dem ersten Weltkrieg bestätigen, was das bedeutet … dazu noch der Kampf gegen diesen neuen, gigantischen Gegner … Herr General, um alles in der Welt, jede vernünftige Überlegung muss Ihnen doch sagen …

GENERAL: Ich habe nach Befehlen zu handeln, Herr Doktor, und nicht nach Vernunftgründen.

Dr. FELD: Herr General, wir beide sind alt genug, um zu wissen, dass kein noch so mächtiger Befehl die menschliche Vernunft aus der Welt schaffen kann; und wo ein Volk glaubt, auf das Licht der Vernunft verzichten zu müssen …

 

Draußen Stimmen und Lärm

 

PANNWITZ (durch die Scheibengardinen am hinteren Fenster spähend): Mein Gott, man sucht Sie, Herr Doktor!

THILO: Jetzt kann er seine Reden da draußen halten!

KRANZ: Das wäre der Tod!

Dr. FELD (nimmt seinen Hut und Stock): Meine Herren, zu einem Siebzigjährigen kommt der Tod nur noch als Freund.

 

MARGA und GERD schnell von links

 

MARGA (zu Pannwitz): Vater, hörst du nicht? Die HJ rennt durch die Straße und ruft: Heraus mit dem Russendoktor! Heraus mit dem Volksverräter!

GERD: Da ist er ja!

MARGA: Still, Gerd!

PANNWITZ: Kein Wort, Junge! Mein Haus wäre für immer geschändet, wenn man erführe …

MARGA: Schnell, Herr Doktor, kommen Sie mit nach oben! Sie waren doch unser Hausarzt, haben mich schon als Kind behandelt; ich leide seit Tagen an starker Migräne; Sie können mich oben in der Wohnung untersuchen.

PANNWITZ (an der Portiere): Unmöglich! Man dringt schon ins Haus! Marga, Gerd, weg von hier! Hinauf zur Mutter!

 

MARGA und GERD ab

 

PANNWITZ: Doktor, hierher, schnell! (drängt ihn zum Wandschrank)

Dr. FELD: Lassen Sie mich! Für dieses Spiel bin ich zu alt!

KRANZ (erregt): Denken Sie an die Jugend da draußen, Doktor! Geben Sie keinen Anlass, dass die Jugend ein Verbrechen begeht! (drängt ihn ganz in den Schrank hinein)

 

Draußen wachsender Lärm

 

PANNWITZ (außer sich): Das Renommee meiner alten Firma! Meine Herren, wir alle können in den Skandal mit hineingerissen werden, falls wir nicht …

 

Oberstudienrat LIPPE tritt schnell durch die Portiere …

 

LIPPE (nach draußen rufend): Das Haus sofort verlassen! Auf der Straße warten! (zu den andern, während der Lärm nachlässt) Meine Herren, eine mehr als peinliche Angelegenheit … in ein Haus dieser Straße soll sich jener besagte Dr. Feld geflüchtet haben; (vor Kranz) vielleicht kann Herr Pfarrer uns berichten, wohin jenes Individuum sich begeben hat?

GENERAL: Herr Oberstudienrat, ich nehme an, die Auffindung von Flüchtlingen ist die Aufgabe andrer Staatsorgane als des Herrn Pfarrers! Sie gestatten zudem, dass ich meine Anprobe hier beende!

LIPPE: Verzeihung, Herr General, es liegt mir völlig fern, Ihre Person in diese Sache mit hineinzuziehen. Gestatten Sie, dass ich mich verabschiede! (mit zackigem Gruß ab)

PANNWITZ (fassungslos): Mein Gott, wohin bloß mit ihm? (nimmt eine helle Sportjacke von einer Büste) Vielleicht sollte er sich irgendwie umkleiden?

Dr. FELD (aus dem Schrank tretend): Meine Herren, geben Sie sich bitte keine Mühe; ich gehe, wie ich bin.

KRANZ: Und wenn man Sie verhaften wird?

Dr. FELD: Ich werde Sie nicht verraten, meine Herren, seien Sie unbesorgt; aber ich werde meine ernste Sorge und meine Warnungen nicht unterdrücken können.

THILO: Warnungen?

Dr. FELD: Auch Sie, Herr Leutnant, sind kein Kind mehr; Sie verstehen sehr wohl, dass dieser gewaltige Aufmarsch unsrer Truppen an der Ostgrenze nicht Manöverzwecken dient. Gewiss, wir haben einen Vertrag mit unsrem großen Nachbarn; aber wir haben schon einmal einen Vertrag zerrissen wie „einen Fetzen Papier“; das war anno 1914, nicht wahr, Herr General, und es ist uns damals sehr schlecht bekommen.

GENERAL: Man kann das Heute nicht mit dem Gestern vergleichen!

Dr. FELD: Nein, diesmal wird es wesentlich schlimmer ausgehen.

GENERAL: Sie werden sich um Kopf und Kragen reden, Doktor!

Dr. FELD: Sie sind Soldat, Herr General; gestatten Sie auch einem Zivilisten, dass er bei wichtigen Anlässen seinen Kopf einsetzt für seine Meinung.

GENERAL: Als Einzelner gegen 80 Millionen … Herr Doktor, das ist nicht Mut, das ist heller Wahnsinn!

Dr. FELD: Es wäre gewiss gut, Herr General, wenn wir einzelnen heute 100 000 oder 10 000 wären; es wäre gut, wenn wir hier zehn Männer der Vernunft und des Bekennermutes wären …

GENERAL: Ich muss doch bitten!

Dr. FELD: Vielleicht sind wir deren zehn, Herr General; gut, so werde ich unter diesen zehn sein; wenn es aber nur einer ist, so werde ich dieser eine sein! (geht nach links)

KRANZ (ihm den Weg vertretend): Herr Doktor, Sie rennen in Ihren Tod!

PANNWITZ (durch das Fenster spähend): Die Straße ist jetzt frei! Herr Sanitätsrat, Sie verstehen, ich hege gegen Sie als unsern alten Hausarzt nur angenehme Gefühle; aber die heutige Zeit, meine Existenz …

Dr. FELD: Ich verstehe, ich verstehe … (will hinaus)

GENERAL: Vielleicht sollten Thilo und ich mit Ihnen gehen?

Dr. FELD: Es lohnt sich nicht, Herr General, vielen Dank!

THILO: Papa, meine Ehre und die Ehre unserer Familie erlaubt es mir nicht …

GENERAL (nachdenklich): Es dürfte natürlich sehr unangenehme Folgen für unsre Familie haben; zudem benötigt die Nation grade jetzt jeden erfahrenen Offizier … (unwillig) Weshalb konnten Sie auch Ihren Mund nicht halten, Doktor? Sie selbst haben sich diese Suppe eingebrockt! Wie heißt es doch noch, Herr Pfarrer: Was der Mensch säet …

KRANZ: Das wird er ernten!

Dr. FELD (über die andern hinwegschauend): Ja – was der Mensch säet, das wird er ernten! (plötzlich) Denken Sie daran, meine Herren, denken Sie daran! (er hat seinen Hut aufgesetzt)

KRANZ: Einen Augenblick, Doktor! Beruhigen Sie sich, Sie sind zu erregt; Sie werden draußen Ihre Zunge nicht im Zaume halten können! Ich würde Sie wirklich gerne begleiten; aber auch ich gehöre mir nicht alleine, Sie verstehen; meine Gemeinde hat ebenfalls Anspruch auf mich!

Dr. FELD: Möge es Ihnen und Ihrer Gemeinde stets gut gehen, Herr Pfarrer! Und nun lassen Sie mich hinaus, meine Herren, lassen Sie mich zu meinem Sohn … (er geht hinaus, während alle zurücktreten)

PANNWITZ: Mir scheint, er ist völlig wahnsinnig!

GENERAL (ihn haltend): Ruhe, Herr Pfarrer! Auch Sie retten ihn nicht!

 

Draußen wilder Lärm, Johlen, heulende Stimmen

 

KRANZ: Sie werden ihn totschlagen!

PANNWITZ: Er hat es nicht anders gewollt. Jedenfalls wir haben mit dieser Sache nichts zu tun!

Was der Mensch säet … Schauspiel von Friedrich Wolf: TextAuszug