DDR-Autoren
DDR, CSSR, Sowjetunion, Polen ... E-Books, Bücher, Hörbücher, Filme
Sie sind hier: Das Trojanische Pferd. Ein Stück vom Kampf der Jugend in Hitlerdeutschland von Friedrich Wolf: TextAuszug
Das Trojanische Pferd. Ein Stück vom Kampf der Jugend in Hitlerdeutschland von Friedrich Wolf
Format:

Klicken Sie auf das gewünschte Format, um den Titel in den Warenkorb zu legen.

Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
13.01.2025
ISBN:
978-3-68912-429-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 307 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane
Arbeiterkampf, Arbeitersolidarität, Faschismus, Flugblätter, Gemeinschaft, Gewalt, Giftgas, Granatenproduktion, Gruppendruck, Hoffnung, Ideologie, Jugend, Jugendprotest, Konflikt, Kunst und Politik, Loyalität, Manipulation, Menschlichkeit, Militarisierung, Moral, Moralischer Konflikt, Mut, Nationalsozialismus, Propaganda, Rebellion, SS, Solidarität, Theaterstück, Totalitarismus, Überwachung, Unfreiheit, Unterdrückung, Untergrundarbeit, Verrat, Widerstand, Zivilcourage, Zwangsarbeit
Zahlungspflichtig bestellen

Gasgranatenabteilung in einem Rüstungsbetrieb, unterirdisch, mit starker Eisenbetondecke: am Laufband von der Mitte quer links über die Bühne die Jungarbeiterinnen und Jungarbeiter Hilda, Anni, Nelli, Willi, Karl, Peter und Alex. Im Verlauf des Arbeitsprozesses füllen die Mädels die Granathülsen mit Pulver, während die Jungens kleine Fläschchen mit Wachsstreifen umkleben und über die Zelle der Pulverladung stülpen. Die Jungens und Mädels sind zwischen siebzehn und zwanzig Jahren. Ganz am linken Ende des Laufbandes steht Harry, ein Scharführer der SA, hier im Betrieb „Jugendbetriebswalter“ (Jugendführer); er hat die erste grobe Kontrolle, besichtigt die Füllung und schraubt den noch nicht „geschärften“ Zünder auf. Das Anrücken des Materials, das in gewissen Abständen geschieht, wird durch Lichtsignale bekanntgegeben: Material A, B, C … 20 Stück usw. - Rechts Treppe nach oben. Die Holzverschalung des Treppenaufgangs trennt diese Ecke etwas vom Arbeitssaal.

 

HARRY schraubt Zündkapsel auf eine Granate, legt sie aufs Laufband: Grüß mir den Manzanares und das liebliche Madrid!

WILLI ebenso: Die salzt vielleicht ’nem Chinamann die Suppe.

HILDA: Witze macht ihr.

HARRY: Sollen wir weinen?

KARL: Wenn dir so ’n Knallbonbon mal aus der Hand rutscht, dann kommt das ganz von selbst.

HARRY: Mensch, wenn man schon vorher die Hose voll hat!

 

Wirft mit einem gewissen eleganten Schwung die Granathülse von der rechten in die linke Hand; schraubt dann mit der rechten den Zünder auf.

 

ANNI: Ich mach nicht weiter, wenn der Harry so angibt! Arbeitet. Da seht, meine Arme und Hände sind schon quittegelb von dem Schwefel; muss man da noch Quatsch machen mit dem Gas?

 

Harry setzt seine elegante Arbeitsbewegung fort. Hilda pfeift dazu.

 

HARRY misstrauisch: Was Besonderes?

HILDA: Ach wo … bloß Rhythmus. Summt, während sie arbeitet.

„Wie ein stolzer Adler schwingt sich auf das Lied,

dass es unsre Seele hoch zum Himmel zieht …“

 

HARRY: Hab ich nicht die Melodie schon zu was anderm gehört?

HILDA: Harry, Mensch, sieh keine Gespenster, wo keine sind; schau lieber mal dahin, wo die Dinger an den Wänden kleben.

HARRY: Was klebt?

HILDA: Wenn der Herr Jugendführer das nicht sieht, ich werd mich hüten.

HARRY vor Hilda: Nun?

HILDA: Nun, man hört doch überall in der Tram so ’n Gerede von Miesmachern, es gäbe wieder ’nen Kohlrübenwinter wie im Krieg; drehst du dich um, bums, ist’s mausestill. Und erst die Zettelchen.

HARRY: Zettelchen?

HILDA: Klebte da in der U-Bahn so ein Blödsinn:

„Heil Hitler! ist der deutsche Gruß.

Statt Butter gibt’s jetzt Pflaumenmus.“

 

HARRY vor ihr: Hast die Schweinerei ja genau studiert!

HILDA ebenso: Weil ich’s abkratzte.

HARRY: Warum nicht gleich gemeldet?

HILDA: Meinem Vater, dem Blockwart.

KARL dazwischen: Recht hat der Harry, wir alle sollten die Augen aufmachen. Wie hieß doch noch der Vers, den ich vor drei Tagen wegwischte? Hab ihn vergessen.

HARRY: Besinn dich!

KARL: Moment, da hatten sie an ’nem Bäckerladen mit Gummistempel an die Wand gedruckt:

„Das Brot wird teurer, die Butter noch mehr;

Volk, ans Gewehr!“

 

HARRY: Ruhe!

 

Stumme Arbeit.

 

HARRY: Solltet euch lieber mehr für eure Arbeit interessieren! Wer von euch ist im aktiven Luftschutz?

PETER: Ich.

HARRY: Als Mitglied der Hitlerjugend; aber mit dir Wasserleiche können wir keinen Staat machen.

PETER: Was kann ich dafür, wenn ich immer kotzen muss; ich vertrage das Gas nicht.

HARRY zu ihm: Was heißt hier: „Vertrage das Gas nicht!“ Wenn dereinst unsre Stunde schlägt, wenn das Zeug in platzenden Granaten über dich fegt, dein Gasschutz von Splittern und Stacheldraht zerrissen und das Chlor in deine Haut …

HILDA: Hör auf, der Peter ist schon wieder ganz grün.

HARRY: Unsinn! Ein bisschen Erziehung tut hier not; solltest das als Hitlermädel wissen. Ganz nah vor Peter, während Hilda die Arbeit von Peter schnell mit übernimmt. Wenn du noch grüner ausschauen und die Beine von dir strecken wirst, – erhitzt – wenn es dir die Lungen aufbläst, mein Jungchen, zu Ballons, bis sie platzen …

 

Peter wankt, fällt plötzlich um, sein Fläschchen für die Granatfüllung zerschlägt am Boden; einzelne stürzen zu dem ohnmächtigen Kameraden, sehen zuerst nicht das Fläschchen.

 

HILDA gegen Harry: Kennst doch den Peter!

HARRY: Hysteriker.

ANNI: Nebenan sind gestern auch zwei umgefallen.

KARL Peters Kiefer vordrückend: Wasser!

HILDA will holen, sieht: Das Fläschchen! Gas!

HARRY ebenso: Masken!!

 

Willi stellt Laufband ab.

 

NELLI: Hilfe!

KARL hat Sirene gezogen, Nelli haltend: Nicht rennen!

 

Signal. – Herbei mit Sauerstoffapparat, die Maske vor dem Gesicht und Gasschutzspritze SA-Posten und eine Person.

 

PERSON auf Peter und das Fläschchen zeigend: Wie viel?

 

Harry presst die Maske über das Gesicht, macht mit dem Zeigefinger das Zeichen eins. Auch die anderen haben unter ihrem Arbeitsplatz schnell die Masken geholt und übergestülpt; der SA-Mann spritzt Boden und Raum ab, die Person hat von der Seite Eimer mit Kalklauge genommen, schüttet etwas auf das Fläschchen, steckt Peter Sauerstoffmundstück zwischen die Zähne; nimmt seine Maske jetzt ab; es ist der Blockwart Wulle, Hildas Vater; er sieht, wie einzelne husten.

 

WULLE: Schöne Schweinerei! Da steht der Eimer mit der Lauge; aber wenn man wie ’ne Hammelherde herumrennt … na, wir werden das noch üben, Herrschaften, garantiert! Über Peter. Kopf nach unten, mein Sohn, kotzen ist gesund, fast so gesund wie essen. Zu den andern. Spuckt jetzt mal feste aus, alle! Zu Peter, der aufwacht. Guten Morgen, junger Herr!

HILDA: Hättest sehen sollen, Vater, wie der Harry ihn zwiebelte!

HARRY: Hättest bei uns auf der Hochschule sein müssen! Kinders, da sind die SS-Instrukteure anders mit uns Schlitten gefahren: mit Gasmasken über die Hohe Wand, bis uns das Wasser in der Hose kochte … übrigens gute Erziehung.

ANNI: Merkt man.

NELLI: Ich finde, schadet gar nichts, wenn der Jugendführer ein bisschen Schliff bei uns einführt.

HARRY: Na und schließlich, von Gas sollte heute jeder etwas verstehen.

WULLE zornig: Nichts versteht ihr!

KARL: Würden schon gern mal was von Ihnen drüber hören, Herr Blockwart.

WULLE: Sind jede Woche zwei Abende im „Luftschutz“.

WILLI: „Luftschutz“ kostet Beiträge.

WULLE: Schluss mit dem Gequassel! Für die Beiträge wird sich ’ne Lösung finden.

WILLI: Na, na, Herr Blockwart?

WULLE fährt herum: Wer meckert da „na, na“! Jungs, wenn der alte Feldsoldat Wulle sagt: Es ist so, dann ist es so! Ein Mann, ein Wort! Und ich denke, die Sache wird euch grünem Gemüse sogar Spaß machen.

WILLI: Schießen Sie los, Herr Blockwart!

WULLE bedeutsam: Weil ich nämlich nicht will, dass die Jugend wie ’ne kranke Leberwurst herumhängt, sondern weil heute Kraft durch Freude das Leben des deutschen Arbeitsmannes beherrschen soll … kurzum, Jungs, eure Beiträge für den Luftschutz werden wir durch ein Theaterstück beim Kameradschaftsabend der Arbeitsfront hereinholen.

WILLI: Ein Theaterstück …

NELLI: Wo wir mitspielen sollen …

WULLE stolz: Na, Jungens, wie ist der alte Wulle?

WILLI: Direkt Zucker!

KARL: Ist das Theaterstück denn schon fertig?

WULLE: Meint ihr, Blockwart Wulle kommt mit halber Sache zu euch? Nein, Jungs, halbe Sachen zeigt man Kindern und Narren! Das Stück ist fertig wie Eisenguss und heißt: Helden der Luft; haben wir Anno 1916 in Frankreich an der Front gespielt.

 

Lichtzeichen.

 

WILLI ansagend: Fünfzehn Minuten Frühstückspause, zehn Stück noch auf dem Band!

WULLE: Vorwärts, die Mädels mit der Kalilauge hier den Boden aufgewischt; die Jungens werd ich oben schnell mal in die Rollen schnuppern lassen! Will hinauf.

NELLI vor ihm: Herr Blockwart, Herr Blockwart, kommen bloß Männer in dem Stück vor?

WULLE: Auch ein Mädel, das heißt ’ne Krankenschwester, die sich zur Front durchschlägt.

NELLI: Etwas für mich!

KARL: Pause! Los!

 

Die Mädels beginnen den Boden aufzuwischen, NELLI legt bald den Lappen hin, drückt sich hinaus, Wulle und den Jungens nach.

 

ANNI aufwischend: Meinst du, der Karl macht mit?

HILDA ebenso: Vielleicht.

ANNI: Ein Militärstück?

HILDA neben Anni kniend, hält im Wischen inne: Flugblätter, Klebezettel, richtig, Anni … aber wissen wir zuletzt, was daraus wird? Schau den Willi, saß mit uns auf der Schulbank, war bei unsern Sportlern.

ANNI: Und jetzt SA.

HILDA: Hast du mal ruhig mit ihm gesprochen?

ANNI: Möcht wissen, wo?

HILDA: Und der Alex? Früher SAJ, jetzt stumm wie ’n Fisch.

ANNI: Hat gestern mit mir gequatscht.

HILDA: Was?

ANNI: Über dich.

HILDA: Über mich?

ANNI: „Vorsicht vor der Hilda“, sagt er, „war bei den Roten, ist heute bei der Hitlerjugend, macht sich wieder an uns heran; Hände weg!“

 

Hilda schweigt.

 

ANNI näher heran, immer aufwischend: Was glaubst du, Hilda, wenn wir erst noch diesen Nazirummel mitmachen, diesen Kameradschaftsabend mit dem blöden Militärstück … was werden unsre früheren Genossen dann von uns denken?

HILDA: Und wenn wir nicht mitmachen?

ANNI immer aufwischend: Zu blöde, dass die Leitung abriss.

HILDA ebenso: Schon fünfmal haben wir Vatern verloren; müssen jetzt allein unsere Schrittchen machen …

 

Karl schnell herein.

 

KARL: Das hält der stärkste Mann nicht aus!

HILDA leise: Wahnsinnig, Karl? Mach, dass du wegkommst!

KARL mit Rollenauszug: Den Offiziersburschen Katzmaschek soll ich spielen … ein Militärschwank aus der Arche Noah! Heftig. Aber schließlich kann man sich nicht selbst anspucken!

HILDA mit Nerven: Anni, wisch vor der Tür!

 

Anni mit Eimer und Wischer hinaus.

 

KARL: Auch der Alex will den Dreck nicht machen, entschuldigte sich, habe noch nie Theater gespielt.

HILDA: Spielt nicht?

KARL: Der Harry sah ihn an und sagte: „Sehr interessant, Freund Alex, warst du früher nie in einer Organisation, wo man Geselligkeit pflegte?“ Dein Alter fuhr dazwischen: „Was früher war, war früher!“ Da nahm der Alex die Rolle, wenigstens in seine Hand.

HILDA: Und wenn du jetzt die Rolle nicht nimmst, und der Harry dich fragt, wo du früher warst?

KARL: Und wenn unsre Genossen mich auf einem Nazikameradschaftsabend in einem Militärschwank herumhopsen sehn?

HILDA: Und wenn wir hier in der Militärbude Gasgranaten drehn?

KARL nachdenklich: Hängen jetzt schon drei Wochen in der Luft …

 

Lichtsignal an elektrischer Uhr bei 9 Uhr 25.

 

HILDA horchend: Still jetzt, Karl! Streicht ihm schnell über den Arm. Komm heute Abend!

 

Karl tritt an die Waschkoje. – Von der Treppe her Lärm und Stimmen. – Herunter kommen: Nelli, Peter, Willi, Harry; dann Anni und Alex; einige schlingen noch schnell den Rest ihrer Frühstücksbrote; Nelli stößt Peter vor sich her.

 

NELLI gegen Peter: „Hergehört, Jungens!“ heißt’s immer. „Habt ihr verstanden, Jungens?“ Zerrt ihn zum Ventilator. Ich schmeiß dich in den Ventilator, dass du als Lerche zum Himmel fliegst!

WILLI: Pack sie am Kopf, Peter! Krawatte! Halbnelson!

NELLI: Uppercut! Boxt ihn in die Ecke. Lasst mich ’nen Jungen spielen, wenn ihr keine Mädelsrollen mehr habt!

PETER atemlos: Meine Rolle … bitte sehr!

NELLI: Wirklich? Versetzt ihm schnell einen Kuss, springt zu den Mädels. Ich spiele mit!

WILLI hat Peter beiseite gezogen: Ausgerechnet von dem Mädel musst du dich schmeißen lassen, wo ihr Vater Sozialdemokrat und ihr Bruder, der Karl … solltest jede freie Minute trainieren. Geht in den Liegestütz, macht Körperstemmen. Los!

PETER geht nieder, stemmt sich zweimal hoch, knickt zusammen: Mehr als dreimal krieg ich’s nicht.

WILLI: Aufstehn! Lässt ihn seine Muskeln fühlen. Das ist heut das Wichtigste, kapiert? Gibt ihm ein Stück Brot. Auch das ist wichtig.

PETER stramm: Danke. Schlingt das Brot.

WILLI ruft: Alex, du lahme Heuschrecke! Hierher! Packt ihn. Wie weißer Käse sehen die Jungens aus. Verdammt zweifelhafter Spaß, die ganze Schicht hier unter der Erde im Betonklotz herumfummeln, was?

ALEX vorsichtig: Die Bergarbeiter müssen’s ja auch.

WILLI: Unterschied zwischen „müssen“ und „müssen“; Theaterspielen zum Beispiel muss keiner, wenn er nicht will.

ALEX: Wer will denn nicht?

 

Karl mit Nelli hinzu.

 

WILLI: Meiner Meinung nach sollte man statt des Theaters ’ne richtige Turnerpyramide stellen.

NELLI: Erzähl das mal dem Blockwart!

WILLI: Meinst du, ich zier mich? Weshalb sind wir denn zur SA gegangen? Um Schluss zu machen mit der Sauwirtschaft der Duckmäuser und Bonzen … weil wir ’ne richtige Arbeiterpartei wollen, ’ne Arbeiterpartei, die auch mal dazwischenfunkt mit ’ner stählernen Faust; wenn sie aber heut wieder kommen mit Schwatzen, Schwadronieren, Theatermachen …

KARL: Was dann?

WILLI: Dann sagen wir unser deutsches Nein!

PETER: Bravo, Willi!

WILLI: Halt ’s Maul!

 

Die Jungens gehen zur Waschkoje. – Anni und Hilda kommen; Hilda streift Alex.

 

HILDA: Nun, Alex, was ist mit dem Theater?

ALEX: Dein Alter hat uns das Stück gezeigt.

Hilda: Machst du mit?

ALEX: Vielleicht.

HILDA: Macht’s dir keinen Spaß?

ALEX: Zuschauen, ja. Geht weg.

ANNI: Den kriegst du nicht.

HILDA: Meinst du?

 

Willi, Karl, Nelli hinzu.

 

WILLI: Ich bin nach wie vor für ’ne anständige Pyramide und nicht für die Faxerei. Schaut doch bloß in den Spiegel, seht ja aus wie die Wasserleichen! Da, der Karl – weinen möchte man – war mal so ’n Brocken, und jetzt weht ihm der Wind die Hosen vom Hintern.

KARL: Erlaub mal! Dreht sich herum, steckt sein Hemd straff in seine Hose.

 

Harry, der die Treppe heruntergekommen und die Gruppe beobachtet hat, springt hinzu, hält Karls Hände fest.

 

HARRY: Hände raus! Was machst du?

KARL dreht sich ruhig herum, er hat die Hände am Leibriemen, schaut Harry ruhig ins Gesicht: Was ich mache, Herr Jugendführer? Ich – schnallt den Riemen zwei Löcher enger – frühstücke.

 

Alle lachen.

 

HARRY: Scheinbar ja glänzende Stimmung? Gut! Alles mal herhören! Das mit dem Spielen wird jetzt ernst. Wer nicht zu dämlich ist, wird mitmachen.

NELLI eifrig: Ich.

HARRY: Hilda!

HILDA: Hier.

KARL NELLI zurückziehend: Dräng dich nicht vor!

NELLI gegen ihn: Wenn der eigne Bruder nicht hilft! Reißt sich los, rennt weinend die Treppe hinauf.

HARRY ihr nach: Nelli, kleines wildes Biest! Wohin? Nelli … Die Treppe hinauf.

 

Die Jungens und Mädels stehen zögernd da.

 

HILDA: Und welche Rolle wirst du spielen, Karl?

KARL: Den ebenso edlen wie blöden Offiziersburschen Katzmaschek.

 

Signal. – Einer nach dem andern tritt nach Schluss der Pause wieder zu seinem Platz am Laufband.

 

HILDA: Los, Jungens, Arbeit macht das Leben süß!

KARL im Gehen zu Willi: Wird also gespielt?

WILLI: Wenn ihr alle die Fahnenstange raussteckt! Aber ich weiß schon, was mancher sich dabei denkt. Hebt die Hand zum Hitlergruß. So tief steckt Deutschland im Dreck!

KARL: Wahnsinnig, Willi?

WILLI: Nee, aber kein Hasenschwanz. Tritt ans Laufband.

ALEX hat Karl von hinten zurückgezogen; leise: Nimm dich in acht, Karl!

KARL: Vor dem WILLI?

ALEX: Vor der Hilda!

KARL: Vor der Hilda?

ALEX: Still, Karl, du weißt, die war bei den Sportlern, aber jetzt als Hitlermädel spitzelt die mit ihrer hübschen Fratze um uns herum. Vorsicht, Karl!

KARL erregt: Alex, wenn ich dir sage …

ALEX: Aha, hat sie auch dich schon? Tritt ans Laufband.

 

Harry kommt mit Nelli die Treppe herab. Nelli tritt schnell auf ihren Platz ans Laufband, das Willi jetzt anstellt. – Arbeit im Tempo. – Harry am Kalkeimer und Sauerstoffapparat winkt Willi, der seinen Platz an Hilda abgibt und heraneilt.

 

HARRY zu Willi: Der Kalkeimer ist wieder leer; siehst du das nicht?

WILLI: Befehl.

HARRY geht mit ihm drei Stufen hinauf von rechts zum Treppenaufgang, der durch die Holzverschalung vom Arbeitssaal getrennt ist: Nun?

WILLI leise: Sind verdammt vorsichtig, die Jungens.

HARRY: Weil du bloß halbe Arbeit machst.

WILLI: Soll ich noch mehr Witze reißen und meckern? Gehen sie darauf ein? Sie mahnen mich, keine Dummheiten zu machen!

HARRY: Das heißt, sie vertrauen dir, und du merkst es nicht. – Du bist unbegabt, Willi.

WILLI: Vielleicht bin ich unbegabt, vielleicht … weil wir Schulkameraden waren, der Karl, der Alex und ich.

HARRY: Wenn du schlappmachst, Willi? Plötzlich. Hast du schlappgemacht?!

WILLI stramm: Nein, Scharführer.

HARRY lauernd: Willst du aussetzen, Willi?

WILLI erschrocken: Nein, Scharführer.

 

Stimmen von oben. – Harry und Willi wieder hinab in den Saal zum Laufband. – Von oben jetzt der Abteilungschef Direktor Ruckwit, Hauptmann d.R., und Wulle. Die Arbeit am Laufband geht auch während des folgenden Gesprächs weiter.

Ruckwit tritt ein.

 

HARRY meldend: Jugendgruppe B 12, nach der Frühstückspause.

WULLE: Diese Gruppe wird am Kameradschaftsabend bei dem Theaterstück mitwirken, Herr Hauptmann!

RUCKWIT leutselig: Recht so, Jungens! Wollt auch mal eure Freude haben, Kraft durch Freude, was?

HARRY: Jawohl, Herr Hauptmann.

RUCKWIT das Tempo am Laufband mit Befriedigung, beobachtend: Bravo, Jungens! Eure Arbeit scheint nicht schlecht; wollen sehen, wie ihr zu spielen versteht. Im Abgehen, während das Tempo am Laufband sich verschärft. Beides muss aus dem Herzen kommen, – zu Harry – aus dem Herzen! Verstanden?

HARRY: Befehl, Herr Hauptmann.

Das Trojanische Pferd. Ein Stück vom Kampf der Jugend in Hitlerdeutschland von Friedrich Wolf: TextAuszug