Ein Fünfjähriger steht Schmiere
Mein Vaterhaus: Kleinbürgertum im Rheinland. Wichtige Kindheitserinnerung: Menne Andrae, ein Geselle in der Werkstatt meines Vaters. Stundenlang sitze ich als Fünfjähriger bei ihm und lasse mir von ihm erzählen und aus dem Wahren Jacob vorlesen; die satirischen Witze auf Bismarck und den Reichstag kapiere ich allerdings nicht.
Eines Tages ist der Geselle entlassen; er sei ein Krakeeler, ein übler Genosse. Ich stöbere ihn auf in der Herberge zur Heimat. Er gießt einem Herbergsbruder, der aus einer Handverletzung stark blutet, eine braune Flüssigkeit über die Wunde und sagt mir: Fritze, das hilft so sicher wie Gift; das ist Arnica, musst du dir merken! Immer wieder, wenn ich als Arzt Arnica verschreibe, fällt mir Menne Andrae ein.
Es war meine erste Freundschaft. Ich habe für ihn Brot und Wurst gemaust und eine funkelnagelneue Hose meines Vaters. Jede freie Stunde schlich ich fünfjähriger Knirps in die Herberge zur Heimat, ganz an der Stadtgrenze am Rheinufer. Ich sah dort Kippemachen dunkle Tauschgeschäfte, die ich nicht verstand, ich sah dort Entlausungsszenen, Prügelszenen, Verbrüderungen der Tippelbrüder und Gesellen aller Länder, die auf der großen alten Römerstraße von Norden nach Süden wanderten. Ich sah, wie einer vom Herbergsvater wegen Zechprellerei mit dem Ochsenziemer verarztet wurde, wie plötzlich alle ihre Pfennige zusammenkratzten und die Sache dann mit einer riesigen Sauferei endete. Ich, Fritze, stand Schmiere, ich schaffte Sachen heran, Viktualien, Mobilien, auch Metallisches auf nicht immer legale Weise; ich war als Fünfjähriger der Verbindungsmann dieser Herbergsbrüder mit der anderen Welt.
Bis man eines Tages daheim Wind bekam und zu exemplarischer Bestrafung schritt, mit allen Finessen: vom Arrest im Kohlenkeller bis zur Entziehung meines kleinen Fahrrades.
Aber ich habe Menne Andrae nicht vergessen.