»Ich bin nicht deine Schwester.«
Er fiel nicht enttäuscht zurück, sich selber zürnend wegen seines Unvermögens, Estrid zu finden, er lächelte glücklich und langte nach der goldblonden Flechte, um mit dem strähnigen Haar zu spielen.
Egil warf sich herum. Die heftige Bewegung zerriss den Nebel, ein Loch tat sich auf, ein gähnender Krater, ein Mahlstrom, der das Mädchen in sich hineinriss, es verschlang und dann in sich zusammenfiel. Nichts blieb als die schwarze Finsternis.
Noch einmal hob er den Kopf und fiel gleich wieder zurück.
»Bruder, Bruder, was ist?«
»Nichts, Egil, nichts. Ich habe nachgedacht, und das Denken schüttelte mich. Warum Egil, hassen sie uns so? Nur weil wir uns heimlich mit ihren Mägden trafen? Was verlieren denn die Bauern und Fischer dabei? Dubslaffs, des Kaufmanns, Zorn begreife ich. Er meint, wir schmälerten seine Rechte. Die andern aber? Wollte man jeden Burschen, der nachts zu einem Mädchen schleicht, in Stücke reißen, dann wäre die Welt längst tot und leer.«
»Die Wenden werden wie die Dänen strenge Regeln haben, und auch das wird sein wie überall: Du kannst Gesetz und Regeln beugen, du darfst dich nur nicht packen lassen. Wir aber ... und allein durch meine Schuld. Still, Bruder, hör mich erst an, dann kannst du mich entschuldigen oder richten. Das strenge Jarlsverbot, von Weibern auch nur zu reden, staut die Natur wie ein hölzernes Wehr den Wildbach; in einer stürmischen Regennacht wird die Wucht des Wassers die Sperre hinwegschwemmen. Im gehorsamen Hütehund erwacht der Wolf, wenn er Wild wittert, und wenn es nur eine hässliche Haselmaus ist wie diese schwedische Magd. Sie lachte mich aus, und ich vergaß, dass ich zum Wachen bestellt war, packte sie und bekam sie auch fast unter, obwohl sie biss und kratzte. Die Nacht trägt jedes Geräusch doppelt und dreifach so weit wie der Tag.«
»Schweig! Bürde dir nicht die Last auf, die ich zu tragen habe. Die Herden wissen, wann sie heim müssen, aber die Törichten kennen kein Maß, heißt es im Liede. Mein Unverstand, meine Begierde machten mich blind und rissen dich, dessen Schuld allein darin besteht, dass du mir Törichtem trautest, mit in mein Unglück! Genug gebarmt! Reue macht die Tat nicht ungeschehen, und eine Niederlage beklagen heißt, sie doppelt erleiden.«
»Hätten wir unsere Waffen gehabt, ich meine Streitaxt und du Odins Schwert, zu Paaren hätten wir die Störenfriede getrieben. Doch mit Waffen lassen sie uns nicht aus dem Burgtor. Wieder so ein unverständliches Gebot: Waffenlos betrete der Nordmann die wendische Siedlung.«
»Wie konnte ich wähnen, Odins Auftrag ohne Odins Waffe auszuführen. Unbedacht ist eine karge Wegzehrung.«
»Oder unsere Rettung. Sie finden unsere Waffen und wissen, wir sind in Leibesnot. Sie werden uns hier herausholen.« Egil hob, auf die Ellenbogen gestützt, den Oberkörper ein wenig an. Die Hoffnung stärkte seine Kräfte.
»Die Wenden geben uns nicht her. Und mit Gewalt wird der Jarl es nicht wagen. Man sticht die Kuh nicht ab, die Milch und Butter gibt, nur weil sie stößig ist.«
»Wie oft hab ich die Burg, den Jarl, die strenge Ordnung, die Kameraden, die Eintönigkeit des Dienstes verflucht, jetzt habe ich Sehnsucht nach ihnen.«
»In der Burg erwartet uns das Gericht der Genossen. Wir haben das Gesetz gebrochen. Schimpfliche Ausstoßung wäre die geringste Strafe. Ewig ehrlos irrten wir durch die Lande. Oder aber, um die Wut der Wenden zu besänftigen, werden die Kameraden unsere Leiber mit Pfeilen spicken oder ihrer Schwerter Schärfe an uns prüfen.«
»Sie werden es nicht wagen, die Waffen wider Odins Sohn zu erheben.«
Wenn du ahntest, dachte Ansgar unfroh und war wieder einmal nahe daran, dem Freund die Wahrheit zu gestehen. Und tat es doch nicht. Warum sollte er ihm und sich selbst die letzten Stunden mit der Galle enttäuschter Freundschaft verbittern. Er sagte nur: »Geschehen wird, was die Nornen uns in unsre Runenfäden flechten.«