Wenn die Millionärstochter den Liftboy liebt oder ist Schmidt wirklich ein Rabenvater? – Sechs E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 2.12. 2016) Wer liest, der lernt wahrscheinlich mehr Menschen und Lebensgeschichten kennen als er in Wirklichkeit je erleben könnte. Er kann Zeiten und Kontinente durchwandern ohne je dort gewesen sein (zu können). Und er kann mühelos sowohl weit zurück als auch weit nach vorn blicken. Vorausgesetzt es gibt Autoren, die dem Leser mit ihren Künsten genau diese Kopfreisen erlauben. Möglich machen dies die vier Autoren der sechs aktuellen Deals der Woche der EDITION digital, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de acht Tage lang (Freitag, 2.12. 16 - Freitag, 9.12. 16) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Die Kopfreisen führen nach Afrika und Russland, zwei Mal in die DDR, in eine ziemlich ferne (und grausame) Vergangenheit und in eine noch fernere Zukunft.
Wahrscheinlich kennen Sie Oberleutnant Daniell noch nicht. Er stammt aus dem erstmals 1972 im Verlag Neues Leben Berlin erschienenen spannenden Kriminalroman „Der verhängnisvolle Besuch“ von Gerhard Branstner. Und dieser Daniell steht vor komplizierten Ermittlungen: Die Fährte ist längst kalt, als er nach Schloßmühlen kommt. Das Dorf liegt friedlich in der warmen Septembersonne, und die Genossenschaftsbauern arbeiten auf den Feldern wie an jedem Tag. Und doch ist etwas geschehen, was das Eingreifen der Kriminalpolizei erforderlich macht.
Ein Mann wurde schwer verletzt und ein Unbekannter hat nachts das Zimmer des Agronomen durchsucht. Daniell entdeckt auch gefälschte Briefe, die auf ein mögliches Verbrechen hinweisen, das, bereits vor Jahren begangen, ungesühnt sein müsste. Autor Gerhard Branstner stattet seinen Ermittler mit drei Dingen aus, die es Oberleutnant Daniell erlauben, die Hintergründe dieses rätselhaften Falles aufzudecken. Diese drei Dinge sind Menschenkenntnis, große Erfahrung und Klugheit. Und manchmal braucht man als Leser für manche Bücher inzwischen auch ein historisches Wörterbuch mit etwas aus der Mode gekommenen Begriffen und Berufsbezeichnungen: Oder wissen Sie noch auf Anhieb, was ein Agronom war?
Scheinbar ein ganz anderes Genre bedient derselbe Autor Gerhard Branstner mit seinem zweiten Buch der aktuellen Deals der Woche. Sein Titel „Der falsche Mann im Mond“ lässt auf den ersten Blick auf Science-Fiction-Literatur schließen. Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Denn bei dem erstmals 1983 im VEB Hinstorff Verlag Rostock erschienenen „falschen Mann im Mond“ handelt es sich laut Untertitel um einen „Utopischen Kriminalroman“. Ist denn die Zukunft etwa auch kriminell?
Auf diese mögliche Frage gibt der Verfasser in seinem Buch eine typisch Branstnersche Antwort – eine heitere Antwort. Denn Heiterkeit war gleichsam die lebenslange Grundhaltung dieses Schriftstellers. Und auch hier wird ein heiteres Spiel getrieben. Diesmal mit der heiteren Vorstellung einer technisch-physikalisch perfektionierten Welt - ohne Beschwernis und Gewicht: Die Schwerkraft ist partiell und nach Wunsch und Belieben aufhebbar. Die freischwebende Katze erreicht die Maus nicht, weil ihre Welt nicht mehr stimmt. Der amerikanische Fabrikant - der letzte seiner Art - schießt einen Mann in den Äther, um ihn schwerelos zurückkehren zu lassen, doch entgleiten ihm die Dinge zum glücklichen Ende. Die Gravitationsminderung hat Folgen. Dichter und Mathematiker schaffen ohne Beschwernis und Hemmung. Die Millionärstochter – ebenfalls die letzte ihrer Art – liebt den Liftboy. Dieser spricht acht Sprachen und nimmt kein Trinkgeld. Spaziergänger bewegen sich im Skaphander, nur wenn der Draht reißt, hören sie nichts. Eine Frau trägt kilometerweit zwei verunglückte Männer auf den Armen. Ein sprechender Roboter signalisiert als Schutzpolizist die seltenen Unfälle. Einzig Douglas’ Agenten und Patentdiebe – noch einmal die letzten - sind für diese Welt nicht richtig programmiert. Wer aber die Welt nicht mehr versteht, der fällt auf. Und Verbrecher werden nicht mehr mit Freiheitsentzug oder Bewährung bestraft, sondern mit schlichtem Gelächter, das heißt: die anderen lachen.
Nichts zu lachen hat dagegen am Ende des Buches die Hauptfigur in dem als Druckausgabe erstmals 1999 im Scheunen-Verlag Kückenshagen veröffentlichten historischen Roman „Die Hexe vom Fischland“ von Rudi Czerwenka. Es geht um Liebe und Verrat, um Menschlichkeit und Niedertracht: Die Wustrowerin Tillsche Schellwegen liebt den Frauenverführer Johann Holste. Während sie diese Beziehung ernst nimmt, sieht Holste diese bald nur noch als Hinderungsgrund für sein weiteres Fortkommen, für seine Karriere. Um das Küsteramt zu bekommen, nimmt er die Witwe des Küsters zur Frau, will aber Tillsche nicht verlieren. Da sie inzwischen verheiratet ist, plant er ein Attentat auf den Fischer Hans Dahm, das einen anderen Dorfbewohner tötet. Um sich selbst zu retten, bezichtigt er Tillsche der Hexerei. Dabei sekundiert ihm der skrupellose Fritz von Wagenhof, der nach Abschluss der Greifswalder Juristenfakultät zum Gerichtsadjunkt in Ribnitz aufgestiegen war. Und so nimmt das Grauen seinen Lauf: Tillsche wird festgenommen, gefoltert und nach missglückter Flucht auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das alles liest man mit zunehmender Anteilnahme, Betroffenheit und Wut, auch wenn man natürlich wie immer wissen will, wie es ausgeht. Und das Schlimmste ist, die in dem spannenden historischen Roman von Rudi Czerwenka geschilderten Geschehnisse haben sich wirklich so oder zumindest so ähnlich zugetragen. Denn das Buch entstand nach Akten über die letzte Hexenverbrennung in Güstrow am 17. Mai 1664 – also vor nunmehr dreieinhalb Jahrhunderten.
Nicht ganz so weit zurück, dafür aber nach Russland geht Brigitte Birnbaum in ihrem erstmals 1980 im Kinderbuchverlag Berlin erschienenen Kinderbuch „Alexander in Zarskoje“. Alexander, das ist Alexander Puschkin. Allerdings ist er in diesem Buch noch nicht der weltberühmte russische Dichter Alexander Puschkin, sondern ein zwölfjähriger Junge. Und dieser Alexander scheint Grund zum Jubeln zu haben: Endlich fort aus dem Elternhaus! Frei sein! Sein Onkel bringt ihn von Moskau nach St. Petersburg, denn er hat Beziehungen zum Zaren. Alexander I. hat für seine und die Söhne aus höchsten Adelsfamilien in Zarskoje Selo sein Lyzeum eingerichtet. Was den Zwölfjährigen dort tatsächlich erwartet, das ahnt er nicht. Und die anderen ahnen nicht, was in Puschkin steckt und welche Gedanken ihn umtreiben: „Auch Professor Kunizyn beobachtet, dass der Zögling Puschkin seinem Unterricht nur mangelhaft folgt und sich selten vorbereitet. Krummrückig hockt Sascha auf seiner Bank, nagt an der Feder, starrt abwesend vor sich hin und kritzelt dann hastig etwas in sein Heft. Was notiert er? Er bedeckt mit der Linken das Geschriebene, als der Professor vom Katheder steigt.“
Die Ausbildung der Jungen – Mädchen waren in Zarskoje Selo natürlich weder vorgesehen noch zugelassen – dauerte übrigens sechs Jahre. Während dieser sechs Jahre durften die Zöglinge lediglich Besuch empfangen, aber nicht nach Hause fahren. Die umfangreiche Ausbildung umfasste folgende Disziplinen: Ethik (Das Gesetz Gottes, die Ethik, die Logik, Rechtswissenschaften, politische Ökonomie), Sprache und Literatur (russische, lateinische, französische und deutsche Literatur und Sprache, Rhetorik) sowie Geschichtswissenschaft (russische und allgemeine Geschichte, physische Geografie) und Mathematik und Physik (Mathematik, Physik und Astronomie, mathematische Geografie, Statistik).
Die ersten drei Jahre waren vorrangig dem Studium der Sprachen gewidmet. Zusätzlich wurden Mathematik, Rhetorik, aber auch Tanz, Schwimmen, Fechten und Reiten gelehrt. In den zweiten drei Jahren war kein festes Unterrichtsprogramm vorgegeben. Es wurden Mathematik, Physik, Sprachen, Literatur und Ethik unterrichtet. Später schlossen sich Studien unter anderem in den Bereichen Psychologie, Militärstrategie, Wirtschaftspolitik, Strafrecht an. Sein erstes unter seinem eigenen vollständigen Namen vom Alexander Puschkin gedrucktes Gedicht trägt den Titel „Erinnerungen an Zarskoje Selo“. Der Dichter nannte es sein „Vaterland“.
Im Vaterland steckt das Wort Vater. Aber was oder wer ist ein Rabenvater? Ist Schmidt zum Beispiel ein Rabenvater? Schenkt man dem erstmals 1989 im VEB Postreiter-Verlag Halle/Saale veröffentlichten Buch „Rabenvater Schmidt“ von Dietmar Beetz Glauben, dann ist er es. Aber stimmt das auch? Was geschieht, wenn der Vater im Ausland arbeitet, wenn er monatelang nicht heimkommen kann, wenn die Mutter mit Christoph und Anja allein zurechtkommen muss? Ist Vater Schmidt wirklich ein Rabenvater? Dietmar Beetz erzählt eine scheinbar alltägliche Geschichte, in der aber viele überraschende Wendungen passieren. „Rabenvater Schmidt“ ist ein spannendes Buch für Kinder, aber keineswegs nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene.
Ebenfalls von Dietmar Beetz stammt der Band „Der Schakal im Feigenbaum“ mit afrikanischen Märchen. Der Schriftsteller, der in Leipzig und Erfurt Medizin studiert hat, war Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Guinea-Bissau als Arzt tätig und hat dort gut zugehört, wenn Märchen erzählt wurden, und sie für hiesige Kinder nacherzählt: „Wachse, Feigenbaum, werde groß.“ Von Hunger getrieben, wiederholt der Schakal den Zauberspruch. Ein Rauschen geht durch die Zweige, der Stamm streckt sich höher und höher. Die Äste biegen sich unter der Last der Früchte. Doch der Schakal frisst und schlingt und ruft immer wieder: „Wachse, Feigenbaum ...“ Die verschiedensten Lebewesen aus Urwald und Savanne bevölkern die Märchen dieses Bandes: der gierige Schakal, die bedächtige Schildkröte, der übermütige Affe, so kleine Tiere wie Hase, Sittich und Chamäleon, aber auch so große wie das Flusspferd und der mächtige Panther. Apropos Panther. Müssen Sie bei diesem Wort eigentlich auch an Rainer Maria Rilke und Alt-Bundeskanzler Schröder denken?