»Du wolltest die Akte Ruprecht?«, fragte Fichtel.
»Danke«, sagte Kellermann.
Ruprecht ...
Kellermann sah die Akte ein, den Stand der Ermittlung.
Ruprecht ...
Der nun geständige Ruprecht ...
Lagerist, Lagerleiter und dann Aufkäufer für Obst und Gemüse und Speisekartoffeln beim Betriebsteil I des volkseigenen Großhandelsbetriebes, dort tätig von Mai bis Oktober, wenn in den Gärten geerntet wird, auch sonnabends, sonntags, wenn die Kleingärtner mit Körben oder Handwagen kommen, um ihre Angebote zu machen.
Ruprecht Besitzer eines Shiguli, eines grünen, eines Bungalows, eines Kontos in Höhe von fünfzigtausend Mark, einer Wohnung mit einer teuren, sehr teuren Einrichtung. Die Frau besaß sogar einen Nerz.
Der Lebensstandard eines Aufkäufers?
Kellermann las sich fest, las die Vernehmungsprotokolle, las, wie man Reichtum erwarb, immer wieder überrascht, wie einfach es war, wenn die Aufsicht fehlte und die Menschen nicht wachsam waren oder gleichgültig.
Ruprecht ging täglich zur Bank, hob einen Bargeldbetrag ab, damit er die Produkte seiner Kunden sofort bezahlen konnte. In der Hauptsaison waren das zwanzigtausend Mark. Die Kleingärtner bekamen eine Quittung und zeichneten sie gegen. Was sie brachten, also die Mengen und die Sorten sowie die Beträge, die sie dafür erhielten, vermerkte Ruprecht in seinem Eingangsbuch. Mit Lastkraftwagen gelangten die Körbe, die Stiegen, die Kisten an jedem Abend weiter, in das Lager des Großhandelsbetriebes oder direkt an Großabnehmer, an Küchen, an Kaufhallen, an Gemüsegeschäfte. Ruprecht schrieb, wie es die Vorschrift besagte, einen sogenannten Umlagerungsschein aus, den auch der Fahrer mit seinem Namen versah. Am Lager musste überprüft werden, ob Menge, Sorte und Qualität den Angaben des Umlagerungsscheines entsprachen.
»Hier begann es«, sagte Ruprecht aus.
»Wieso?«, fragte der Vernehmer.
»Ich bemerkte bald, dass Lkw-Fahrer mir Kirschen oder Erdbeeren anboten, die von der Oma stammen sollten oder von Nachbarn. Aber es war anders. Sie waren von den Mengen abgezweigt worden, die die Fahrer bei anderen Aufkäufern schon abgeholt hatten. Die Fahrer gaben das offen zu. Mein Vorgänger habe es auch so gemacht. Ein paar Kilo mehr auf dem Umlagerungsschein notiert keiner merke das. Das Geld werde geteilt.«
»Erläutern Sie, wie sie es taten«, sagte der Vernehmer.
»Ein Kraftfahrer lud dreißig Körbe Erdbeeren auf, obwohl er genau wusste, dass auf seinem Umlagerungsschein fünfzig standen. Für die fehlenden zwanzig Körbe erfand ich Kunden und unterschrieb deren Namen auf der Quittung. Das Geld konnte ich nun aus der Kasse nehmen.«
Kellermann blätterte weiter in der Akte.
Das Motiv für die Geldgier?
»Es war für mich ein gewisser Nervenkitzel«, las Kellermann, »dieses Spiel mit dem Feuer.«
Und dann kam eine Stelle im Protokoll, wo Kellermann noch aufmerksamer wurde, wo sich alles in ihm zusammenzuziehen schien, als wäre er eine Feder, die bald losschnellen wollte.
»Es gab Frauen«, sagte der Vernehmer, »für die Sie Geld brauchten. War es viel Geld?«
»Ich war sehr großzügig.«
»Sehr großzügig?«, fragte der Vernehmer. »In welcher Form?«
»Ich konnte ihnen jeden Wunsch erfüllen. Ich hatte feste Verhältnisse. Nicht, dass Sie denken ...«
»Sie gaben sich als Direktor aus. Einer jungen Frau haben Sie erzählt, Sie hätten eine Erbschaft gemacht und wollten ein neues Leben beginnen, wenn Sie nach der Scheidung wieder frei wären. Mit ihr.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«