DDR-Autoren
DDR, CSSR, Sowjetunion, Polen ... E-Books, Bücher, Hörbücher, Filme
Sie sind hier: Wege, Worte, Welt – Erinnerungen von Bernhard Kellermann: TextAuszug
Wege, Worte, Welt – Erinnerungen von Bernhard Kellermann
Format:

Klicken Sie auf das gewünschte Format, um den Titel in den Warenkorb zu legen.

Preis E-Book:
2.99 €
Veröffentl.:
14.10.2025
ISBN:
978-3-68912-585-1 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 85 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik
Autobiografie, Reisebericht, Jugenderinnerungen, Literaturgeschichte, Künstlerleben, Paris, München, Weltreise, Schweiz, Franken, Literatur, Zeitgeschichte, Wanderjahre, Begegnungen, Schriftsteller, Selbstbiografie, 20. Jahrhundert, Deutschland, Erinnerungen, Hermann Hesse, Hermann Graf Keyserling, Max Halbe, Erich Mühsam, Frank Wedekind, Roda Roda, Thomas Theodor Heine, Simplicissimus, Olaf Gulbransson, Pasquin, Samuel Fischer, S. Fischer Verlag, Albert Langen
Zahlungspflichtig bestellen

Eines Tages, als ich im „Stephanie“ eine französische Zeitung las, sprach mich ein junger Mann an mit etwas verwilderten schwarzen Haaren. Es war ein polnischer Journalist namens Basler. In seiner Begleitung befand sich eine schmächtige junge Dame, eine Engländerin, die keine Silbe Deutsch und sehr schlecht Französisch sprach. Sie war etwas exaltiert gekleidet und trug ein kühnes Pariser Hütchen mit einem blauen Schleier. Da ihr gerade in der Mitte des Mundes ein Zahn fehlte, hielt sie beim Sprechen stets die Hand vor den Mund.

Der Pole war von einer Pariser Zeitung nach München geschickt worden, um einen Aufsatz über München als Kunststadt zu schreiben, und bat mich um einige Hinweise, die ich ihm gern gab. Im Laufe der Unterhaltung schwärmte er in überschwänglicher Weise von Paris und riet mir dringend, es mir bald anzusehen. „Dort werden Sie wirklich sehen, wie weit man heute in der Malerei ist“, sagte er.

„Aber, was wollen Sie, ich habe kein Geld.“

Der Pole lachte. „Kein Geld? Wenn Sie in München leben können, leben Sie zehnmal in Paris. Paris ist die billigste Stadt der Welt.“

„Wenn man es kennt, vielleicht.“

„Nun, ich werde Ihnen Paris zeigen. Ich werde Ihr Führer sein. Senden Sie mir ein Telegramm, und ich bin an Ort und Stelle.“

„Wir haben ja auch kein Geld“, warf die Engländerin ein, „und wir leben doch. Ja, kommen Sie nur.“

Den vorigen Winter hatte ich in Rom verbracht und mir vorgenommen, den kommenden Winter in Paris zu leben. Musste ich es nicht als ein Wohlwollen der Götter betrachten, dass sie mir einen Führer für Paris in der Gestalt des Herrn Basler nach München schickten? Es wäre leichtfertig gewesen, diesen Hinweis zu übersehen.

Ich machte Dorn und Erika einen Abschiedsbesuch, um ihnen Lebewohl zu sagen. „Wirst du denn deiner Mutter noch in die Augen sehen können, wenn du in Paris gelebt hast?“, fragte Erika, die in vielen Dingen merkwürdige Ansichten hatte.

„Meine Mutter ist nicht so empfindlich.“

Am nächsten Tag fuhr ich nach Paris. Schon bei der Ankunft ereignete sich ein glückverheißendes Wunder. Der Zollbeamte fragte mich, ob ich zollpflichtige Dinge bei mir habe, Zigaretten zum Beispiel, und obschon ich zweihundert Zigaretten in meinen Manteltaschen verstaut hatte, leugnete ich es natürlich. Da fuhr der Zöllner mit seiner mächtigen Pranke in meine Manteltasche, in der sich hundert Zigaretten befanden, und ließ mich gehen. Ich fühlte mich erlöst, denn seine Entdeckung hätte mir den größten Teil meines Vermögens gekostet, aber ich weiß heute noch nicht, wie es kam, dass er von all den hundert Zigaretten keine einzige spürte.

Die Straßen waren nur spärlich beleuchtet und machten einen düsteren Eindruck, stundenlang klapperte unsere Droschke bis zum Quartier latin. Es regnete, und auf den Lichtinseln scharten sich Trüppchen von Dämchen zusammen, die mir alle sehr dünne Beine zu haben schienen. Mein Einzug in Paris war eine offensichtliche Enttäuschung.

Endlich hielt unsere Droschke in einer schmalen Seitenstraße beim Boulevard Saint-Michel. Mein Freund Basler, den ich kaum kannte, hatte Wort gehalten und mir ein Zimmer in dem kleinen Hotelchen bestellt, das im fünften Stock lag, wohin mich der freundliche Portier sofort führte.

Am nächsten Morgen sah ich, dass es kaum größer war als das Bett. Es hatte einen schmalen Balkon, der auf einen Platz hinausging, auf dem die Omnibusse von Montmartre ihre Endstation hatten. Die Kutscher und Kontrolleure pflegten hier stets aus dem Wagen zu klettern und ihre cent pas zu machen. Sonst war hier nichts zu sehen als die hübsche Angestellte einer Bügelei, die sauber und adrett jeden Tag ihre Wäsche auf einem langen Tisch bügelte, der das ganze Trottoir einnahm. Mit ihr pflegten Kutscher und Kondukteure der Omnibusse stets laut zu scherzen.

Wege, Worte, Welt – Erinnerungen von Bernhard Kellermann: TextAuszug