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Shilumbu. Was will er in Afrika von Jürgen Leskien
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
25.01.2014
ISBN:
978-3-86394-597-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 282 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Märchen, Volkserzählungen, Legenden und Mythologie
Abenteuerromane, Mythen und Legenden (fiktional), Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Familienleben
Namibia, DDR, Entwicklungshelfer, Flüchtlingscamp, UNITA, SWAPO, Deutsch-Südwest-Afrika, FAPLA
12 - 99 Jahre
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„Kennst du den Jungen?“, fragte ich in unser Schweigen hinein.

Bandela hob einen Karton Verbandmaterial vom Wagen. „Niemand kennt ihn hier, niemand.“ Und unwirsch setzte er hinzu: „Wir kennen nur seine Geschichte, ich meine die, die er uns erzählt.“ Der Junge nannte sich Petrus, so jedenfalls wurde er auf der Farm „Sachsenheim“ gerufen. Die Farm war groß, sie lag an der Straße von Ashivelo nach Tsumeb, ihr Besitzer war ein ruhiger Mann, der Deutsch die Sprache seiner Väter nannte. Der Farmer war hochgewachsen und trug einen roten Vollbart. Das Ehepaar hatte keine Kinder. Im Haus gab es fünf Zimmer mit nur wenigen Möbeln. Aber viele Bücher besaß der Farmer, in deutscher Sprache und in englisch. Der Mister trug ständig eine Pistole vom Typ Walther bei sich und hörte am Abend mit seiner Frau Musik. Dazu legten sie Schallplatten auf oder kurbelten so lange am Radio, bis sie das Richtige gefunden hatten. Meist war es Musik, die von einem Klavier herkam, niemals Gesang.

Als die Südafrikanische Wehrmacht bei ihrer Aktion „Winning Hearts and Minds“ in einem abseits liegenden, aber zur Farm gehörigen Wellblechschuppen ein Verhörzentrum einrichten wollte, verweigerte der Mister sein Einverständnis, und die Soldaten zogen weiter zur Farm „Hoheneck“.

Petrus’ Mutter und auch seine Großmutter hatten auf „Sachsenheim“ als Waschfrauen gearbeitet. Petrus war auf der Werft, wie der Mister die drei Afrikanerhütten hinter dem Geräteschuppen nannte, geboren, ebenso seine beiden Schwestern, die aber an einer Krankheit, die ihnen den Hals geschnürt hatte, erstickt waren.

Den Vater hatte Petrus nie gesehen. Er arbeitete als Kontraktarbeiter im Diamantgebiet von Oranjemund. Zweimal im Jahr traf die Mutter sich mit ihm auf halbem Wege, in Windhoek, bei Freunden in Katutura. Petrus war dann allein in seiner Hütte und sprach nur mit den Ziegen, die er, solange er denken konnte, zu hüten hatte.

In diesen Tagen holte der Mister ihn manchmal auf die Terrasse, dann saß er auf den Stufen, aß weißes Brot und hörte diese eigentümliche Musik.

Als die Mutter von der letzten Reise nicht zurückkam, meldete der Mister das sofort der Polizei, aber das schaffte die Mutter nicht herbei. Die Frau des Misters wusch von nun ab allein die Wäsche, und Petrus durfte nicht mehr auf die Terrasse. Am Tage, als ihn der erste Hustenanfall schüttelte, hängte ihm der Mister einen Beutel über die Schulter und sagte, er solle in sein Dorf zurückgehen, sich auskurieren, dort sei bessere Luft und gute Pflege durch die alten Weiber, und die drei Büchsen Fleisch seien der Lohn. Der Mister ging mit ihm auf die Straße, hielt ein Auto an, sagte dem Fahrer, er solle den Jungen in die „Operationszone“ mitnehmen, am besten bis Ondangwa.

Nach einer Stunde passierten sie den Schlagbaum des Sperrgebietes, und das Land wurde grüner. Als er zum dritten Mal seinen Schleim abhustete, hielt der Fahrer, der ein schwarzer Afrikaner war, den Lastwagen an, stieß ihn hinaus, die Konserven aus dem Beutel behielt er.

Petrus stahl sich durch die Tage. Lief nordwärts, immer nachts, versteckte sich, wenn die Sonne hochkam. Er traute niemandem. Nach einer Woche erreichte er den Fluss. Ein Bauer fand ihn dann am jenseitigen Ufer. Der Mann nannte ihm den Namen des Flusses und sprach vom Camp der SWAPO, in dem man gesund werden kann. Petrus schleppte sich bis Lubango. Ins große Camp brachte ihn ein Auto. Die erste ruhige Nacht in Kwanza-Sul brachte auch den ersten Blutsturz.

„Wird er durchkommen?“, fragte ich nach einer Pause. „Wird er es schaffen?“

Bandela schaute zu den Zelten hinüber, fuhr sich durch das Haar. „Er ist sehr schwach, die Krankheit sitzt tief.“

Auf die Kisten schauend, mit einem Anflug von Lächeln, fügte er hinzu: „Aber das hier macht Hoffnung.“ Er hob den Blick. „Oder hattet ihr damals mehr - mehr als Hoffnung?“

Ich wollte ihm antworten, Bandela aber nahm mir das Wort.

„Wir haben das erste Mal etwas für uns, weißt du. Die Alten sagen, eines Tages wird Afrika den Afrikanern gehören. Sie wiederholen sich von Generation zu Generation. Nun aber haben wir dies Camp, diese kleine Stadt, diese Tb-Station. Zelte, Wäsche, Medikamente. Milchpulver und Fett, Zucker, sauberes Wasser, die Umsicht der Schwestern, Ärzte. Die Leute wissen das, viele jedenfalls, in Windhoek, in Gobabis, in Keetmanshoop. Sie schleppen sich hierher, ungläubig noch, doch voller Hoffnung. Voller Zweifel auch, ob es nicht wieder nur ein Krankenhaus ist für die Buren und den Baas und den Mister. Zweifel, denn wie sollte es möglich sein, diesen Ort zu erreichen, ein Hospital mit sauberen, frisch bezogenen Betten ..., da man doch schwarzer Haut ist, da drei Millionen jährlich unbemerkt verlöschen ... an kranken Lungen ..."

 

Shilumbu. Was will er in Afrika von Jürgen Leskien: TextAuszug