"Halt, warum bist du gestartet?", rief er verzweifelt.
Jessica war gleichfalls erschrocken. Sie hielt Goodwin fest, damit er nicht herunterfiel.
"Du bist gestartet", erwiderte sie aufgeregt. "Du hast das Gesicht den Bergen zugewandt, das ist das Startzeichen. Bitte zapple nicht so, sonst kippt der Trog noch um und wir liegen gemeinsam unten."
Inzwischen waren sie so weit oben, dass ein Sturz beiden sehr schlecht bekommen wäre. Obwohl der Trog unter der Last ächzte und knarrte, stieg er immer höher, flog auf die Bergkämme zu.
"Er soll uns zurückbringen", rief der Großvater, "gib den Befehl, umzukehren!"
"Man kann dem Trog keine Befehle geben", sagte Jessica. "Sobald er gestartet wird, bringt er seine Passagiere über das Gebirge hinweg zum Ufer des Muschelmeers. Von dort aus fliegt er dann wieder zurück."
Der Großvater sagte nichts mehr. Er kniff die Augen zu, um nicht in die Tiefe blicken zu müssen, und versuchte, ganz still zu liegen. Jessica hielt ihn mit beiden Händen an der Jacke.
Doch lange konnten sie es in dieser Lage beide nicht aushalten. Goodwin überlegte, ob er sich fallen lassen sollte, um wenigstens Jessica zu retten. Dann erwachte aber sein Lebenswille wieder und er beschloss, einen letzten Versuch zu wagen. Vorsichtig zog er die Beine an. Es gelang ihm, ein Knie auf den Trogrand zu bringen.
Der Trog neigte sich gefährlich zur Seite und Jessica schrie:
"Was machst du, Opa? Hör auf damit!"
Goodwin verlagerte sein Gewicht, so dass ihr Gefährt sich wie ein Boot wieder aufrichtete.
"Lass mich jetzt los und halte dich selber am Trogrand fest", sagte er. "Erst die eine, dann die andere Hand. So ist's gut." Er drehte den Oberkörper und rutschte mit dem Hintern in die Trogmulde. Da er ein bisschen dick war, musste er sich hineinquetschen. Schließlich zog er die Beine nach.
"Bravo, Opa", rief Jessica, "du hast's geschafft!"
"Na ja, man war ja mal Artist", erwiderte Goodwin bescheiden. In der Tat war er viele Jahre mit einem Zirkus über Land gezogen.
Der Trog hatte das Gebirge erreicht. Grün- und braungefleckt lag die Landschaft unter ihnen. Man sah einen Fluss, den Grand River, auf dem Jessica beim allerersten Mal ins Zauberland gelangt war. Als Gefangene der Wassermänner, die damals dem schrecklichen Seemonster dienten.
Nun wagte es auch der Großvater wieder, den Blick nach unten zu richten. ein paar Bergziegen waren zu sehen, klein wie Ameisen, auch ein Adler kreiste in der Tiefe. Es handelte sich aber nicht um Stellas Boten.
"Ist das nicht herrlich", rief Jessica, "die Täler und Schluchten, die winzigen Bäume. Auf einer Bergspitze liegt sogar Schnee. Leider geht die Fahrt viel zu schnell."
"So schnell, dass man Ohrensausen kriegt", bestätigte der Großvater. "Und alles umsonst. Wenn ich daran denke, dass ich den gesamten Weg wieder zurückmuss."
"Doch nicht gleich. Wenn du schon mit mir hinfliegst, kannst du auch ein paar Tage im Zauberland bleiben."
"Auf keinen Fall. Lieber nehme ich die Tortur in dieser Wackelkiste sofort wieder auf mich."
Sie landeten sanft am weißen Sandstrand des Muschelmeeres, an einer Stelle, die Jessica schon kannte. Einmal war sie von Delfinen mit dem gläsernen Tauchboot der Seekönigin hier abgeholt worden, ein anderes Mal von Dickhaut, dem Elefanten.
Der Strand war leer. Kein Mensch außer ihnen weit und breit, auch kein Tier.
"Ich muss hier warten", sagte Jessica und sprang aus dem Trog. "Schade, dass du gleich wieder wegwillst."
Goodwin, dem alle Knochen wehtaten, kletterte gleichfalls aus dem Gefährt.
"Ein bisschen Gesellschaft kann ich dir ja noch leisten." Er schaute sich neugierig um.
"Hier ist nicht viel los", erklärte Jessica. "Höchstens ein paar kleine Fische im Wasser, aber mit denen kann man nichts bereden."
"Vielleicht sind wir noch gar nicht im Zauberland", vermutete der Großvater.
"Natürlich sind wir da. Hinter den Bergen fängt es doch an."
"Steigen wir dort auf den Sandhügel", schlug Goodwin vor. "Da haben wir einen besseren Überblick."
Sie stapften auf den Hügel, der nichts als eine Düne war, und setzten sich hin. Es war warm, die Sonne schien und das Muschelmeer breitete sich flimmernd zu ihren Füßen aus. Nach einer Weile bekam Jessica Hunger, aber der Großvater hatte bei seinem Sturz auf den Trog das Stullenpaket fallen lassen.
"Und wenn es im Trog liegt?", überlegte Jessica laut.
"Bestimmt nicht. Das hätten wir gemerkt", erwiderte der Großvater.
Da Jessica nichts zu tun hatte, lief sie trotzdem hin. Natürlich vergebens. Ein paar Sträucher mit roten Beeren wuchsen in der Nähe und sie kostete. Nein, das brachte nichts, die Beeren waren ungenießbar. Nachdem sie es, ohne Erfolg, noch bei einem anderen Strauch versucht hatte, kehrte sie zu der Düne zurück. Doch als sie den Hügel wieder erklommen hatte, war der Großvater verschwunden.