Dichter Nebel hatte sich über die Stadt gelegt. Bereits am späten Abend war er über Gebäude und Fahrbahnen gekrochen. Er hatte über Nacht zugenommen und am Morgen so gut wie jeden Verkehr lahmgelegt. Überfüllte Straßenbahnen schoben sich an diesem Montag im Schneckentempo vorwärts. Die meisten Leute hatten ihren Wagen vor der Tür stehen gelassen.
Kommissar Gustav Merks war aus der Sechzehn ausgestiegen. Nun wartete er in einem Schub Studenten, die der Uni zustrebten, dass die Fußgängerampel auf Grün schaltete. Es war eine normale innerstädtische Straße, dreispurig. Doch die Ampel auf der gegenüberliegenden Seite war schon nicht mehr zu erkennen. An genau einer solchen Kreuzung lag die Wohnung des Verdächtigen. Nachdem der Kommissar fünf Minuten gelaufen war, fand er die Straße und Hausnummer. Da die Mietertabelle von innen erleuchtet war, drückte er auf die richtige Namenstaste und klingelte Sturm. Merks wusste, dass Dennis Hubel in den Morgenstunden zu Bett ging. Schließlich musste er sich von seinem Job als Nachtbarkeeper erholen. Deshalb drückte er wiederholt auf die Klingel. Es tröpfelte ihm unangenehm in den Mantelkragen. In die ungewöhnliche Stille der Hauptstraße hinein ertönte plötzlich ein fröhlicher Guten-Morgen-Gruß. Hubel war es, der wie aus dem Boden gewachsen neben ihm auftauchte und gleich die Haustür aufschloss.
Der einem Laufstegmodel für exquisite Herrenkleidung ähnelnde Keeper roch nach seinem Arbeitsplatz und einem aggressiven Haargel. Merks kannte ihn von einer Razzia in seinem Club.
»Nun, ohne Wagen vom Dienst zurück?«, wunderte sich der Polizist.
»Den habe ich lieber stehen lassen. Bin die zwanzig Minuten gelaufen. Kein Problem für einen jungen, dynamischen Mann wie mich.« Er lachte und zeigte dabei im grellen Licht des Hausflurs blendend weiße Zähne. Sie bestiegen den Lift.
»Wir müssten uns Ihr Fahrzeug gleich mal ansehen«, bemerkte der Kommissar im behaglich eingerichteten Dachappartement. »Vor Ihrer Bar parkt es?« Merks griff zum Telefon, um seine Leute dorthin zu schicken.
»Halt! Genauer gesagt steht es dort nicht mehr. Ich hatte heute früh einen Werkstatttermin. Habe den Wagen gerade zum Kumpel um die Ecke geschoben.«
»Und jetzt«, stellte Merks lakonisch fest, »bügelt der feine Kumpel die Lackkratzer aus, nicht? Denn Sie haben gestern auf dem Weg zur Piccolo-Bar einen alten Mann umgefahren. Auffälligerweise handelt es sich dabei um Günthi. Also um den Ganoven, mit dem Sie wegen Ihrer kriminellen Deals um eingeschleuste Begleitdamen öfter schon Differenzen hatten.«
Der Kommissar zog die frische Morgenzeitung aus der Tasche. Günthis Foto prangte darauf und die dicke Schlagzeile: WARUM? MORD IM ROTLICHTMILIEU.
»Die Schlagzeile habe ich soeben auch gesehen«, erklärte Hubel rasch. »Der Zeitungskiosk befindet sich ja genau schräg gegenüber von meiner Wohnung. Ich bin dann aber doch nicht über die Straße gelaufen, um mir das Schwindelblatt zu kaufen. Man weiß ja nie, ob einen dabei ein durch den Nebel schleichendes Polizeiauto anfährt ...« Er zeigte wieder sein Reklamelächeln. »Oder sind Sie etwa zu Fuß gekommen, Kommissar?«
»Diese Frage muss ich Ihnen nicht beantworten.« Merks ließ die Handschellen klicken. »Aber Sie werden mir bald einige Antworten geben. Denn Ihr Wissen um Günthis Tod haben Sie garantiert nicht aus der Zeitung.« -
Womit verriet sich der Barkeeper?