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Frisör Kleinekorte. von C. U. Wiesner
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
18.10.2013
ISBN:
978-3-86394-402-5 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 135 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Satire, Belletristik/Politik, Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Geschichte
Belletristik: Humor, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Satirische Romane und Parodie (fiktional)
Friseur, Alltagsleben, DDR, Westbesuch, Westreise, PGH, Berlin, 20. Jahrhundert, Humor, Kurzgeschichten, Politik, Satire, Zeitgenössisch
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Sehnse, dis is nu mal der Vorzug an die westliche Demokratie: Der Arbeitgeber verwendet heutzutage dieselbe Pomade wie der Arbeitnehmer, und daher spricht man von Sozialpartnerschaft. Was meinse, wie sozial sich Emmerich &Co. benimmt. Also nicht nur, deß er Justaven seine jetragenen Anzüge vermacht und ihm reichlich mit jute Zigarren versorgt, nein, der Mann hat mir sojar eingeladen, weil er doch selber keine Rentner mehr kriegt.

Jott, wissense, ’n bißken komisch wird einen, wenn Se in die ihre freie Welt son richtigjehenden Müllionär so Auge um Auge gejenübersitzen, trotzdem der Mann sojar selber Brötchen holt. Justav hat mir vorher die Hölle heiß jemacht mit seine jutgemeinten Ratschläge: Also, Vater, hat er jesagt, deß du nicht dis Wort DDR aus Versehen hinfallen jasst, wenn Herr Emmerich mit dir spricht. Da is er sehr empfindlich, und dis wirkt sich denn auf mir aus. Und wenn er auf die Juden schümpt und sagt, die machen sich in Frankfurt schon wieder breit, denn jibste ihm recht, denn schließlich eß ick sein Brot.

Na schön, ick wollte ja den Jungen nicht um sein Brot bringen, wo er doch so froh ist, deß er in die freie Welt unterjekommen is. Ick nu also rin in den feinen Mercedes, und Emmerich & Co. hat mir Frankfurt erklärt. Is ja erstaunlich, was die so für ihre Versicherungen tun. Piekfeine amerikanische Jlaspaläste, und da dürfen sojar die einfachen Anjestellten drin arbeiten und denselben Lüft wie der Herr Direktor benutzen. Ick sage zu Emmerichen, warum se da mittenmang sone unmoderne Kabache ham stehnlassen. Sagt er, dis is Joethens Jeburtshaus, und wenn se uns erst mal befreit ham, lassen se dis Ding nach Weimar schaffen, damit der janze historische Krempel auf ein Haufen steht. Sehnse, dis hat mir schon an den Mann jeärgert, aber ick musste ja an Justaven denken, und darum hab ick nur bescheiden vorjeschlagen, deß er man auchgleich seinen ollen Römer abreißen und den Papst vor die Nase bauen soll. Is er jar nich drauf einjegangen. Aber passense auf, jetzt kommt dit Schönste, und darauf nehmse erst mal ’n Jägermeister. Deutschlands meistgetrunkener Halbbitter. Sagt doch Emmerich, jetz jehn wir essen, und er weiß sone janz kleine intime Speisewirtschaft, nicht so was Unpersönliches wie die jroßen Restaurants. Na, dacht ick so bei mir, wo ick mir extra in meinen juten Vorkriechsanzug jeschmissen habe. Aber Müllionäre sind nu mal extraverkantet, und darum ließ ick dis Kind die Bulette.

Wir also rin. Der olle Kellner is gleich wie dis Rasiermesser hier zusammenjeklappt. Bitte sehr, Herr Emmerich hinten und vorne, darf ich dis Übliche bringen? Und der andere Herr? Ick sage dito. Und was bringt der Kerrel? Sülze und Bratkartoffeln. Is so ein Nümbus von ihm, erklärt mir dieser Textilfritze. Jeder Frankfurter weiß, deß Emmerich junior hier immer dieses Hausmachergericht isst. Nu sagense selber: Hab ick davorhalben mein Reisepass beantragt? Erst wollte ick sagen, nagelnse sich doch ’n Salzhering an Tisch und leckense dran, dis is noch ville origineller. Aber denn fiel mir wieder Justav ein, und ick hab ihm quasseln lassen. Bloß wie er immerzu mang die Remulade vons Abendland jeredet hat, hab ick aus Daffke jesagt, deß ich sojar ein Morgen Land habe, und zwar an die Strecke nach Hoppegarten raus. Zum Schluss hat er man jrade ein kleinen Doornkat spendiert, weil er doch den Mercedes selber fährt. Gibs bei Ihnen bestimmt nicht, mein lieber Kleinekorte, hat er jefragt. Nee, hab ick janz trocken jeantwortet, bei uns jibs gar nischt, sojar die Puffs hat die Partei dichtejemacht. Denn hatte er es auf einmal sehr eilig.

Hoffentlich hab ick nischt Falsches jesagt, denn Justav is ja drüben auch nicht mehr der Jüngste, und der Junge steht sich da wirklich nischt aus. Bloß det er ebent mit die Wölfe heulen muss, vor allem sonntags inne Kirche, weil Emmerich & Co. da Wert drauf legt. Aber reinlegen tut er seinen Chef doch, indem er nämlich nicht mitsingt, sondern einfach bloß den Mund auf- und zumacht. Und dis is wider dis Schöne. Daran kann Ihnen im Westen keiner dran hindern.

Ach, und stellnse sich vor: Schimburchen hab ick drüben wiederjetroffen, mein früheren Jehilfe, der damals abjehaun is, wenn Se sich entsinnen. Der is jetz Vertreter für kosmetische Artikel und muss sich mit seine Plattfüße janz schön die Hacken abrennen. Und der hat mir einjeladen zu den berühmten Appelwein, der unsereinen ja sämtliche Löcher zusammenzieht. So etwa nachm dritten Glas hat er denn ’n bißken jeweint und jesagt, nächsten Tag weint er nicht mehr, und da drüben in Frankfurt hat er zumindest seine Freiheit und kann weinen, sooft er will. Und zum Abschied hat er mir allerhand Proben aus seinen Musterkoffer jeschenkt.

Frisör Kleinekorte. von C. U. Wiesner: TextAuszug