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Sie sind hier: DDR-Autoren: Newsletter 12.10.2018 - Himmelarsch und Zwirn, Flucht aus Russland, Budjonny und ein besonderes

Himmelarsch und Zwirn, Flucht aus Russland, Budjonny und ein besonderes Geburtstagsgeschenk – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 12.10. 2018) Eine besondere und noch dazu sehr vergnüglich zu lesende Anleitung zur Lebenskunst – das bietet gleich auf der ersten Seite der erste von fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de jeweils eine Woche lang (Freitag, 12.10.18 – Freitag, 19.10.18) zum Sonderpreis zu haben sind. Die Rede ist von dem wort- und sprachspielerischen Buch „Wer kämmt das Haar in der Suppe?“ der Schriftstellerin Gabriele Berthel, von der die sehr lesenswerten Texte stammen, und ihrer Ende vergangenen Jahres in beider zweiten Wahlheimat Irland gestorbenen Arbeits-, Liebes- und Lebensgefährtin, der Malerin und Grafikerin Helga Kaffke, die die schönen Aquarelle für „Wer kämmt das Haar in der Suppe? fabriziert hat, für die man sich Zeit nehmen sollte.

Apropos Zeit. Sollten Sie Zeit und Lust haben und gerade in der Gegend um und in Schwerin sein, dann haben Sie Gelegenheit, in der Schweriner „gallery berger“ nahe dem landeshauptstädtischen Hauptbahnhof eine Ausstellung mit Aquarellen von Helga Kaffke anzuschauen, die dort am Sonnabend, dem 27. Oktober eröffnet und für drei Wochen gezeigt wird. Zu sehen sind auch Arbeiten zu dem Frankreich-Band „VALSE MUSETTE. ROUEN en miniature“ – zugleich der zweite Deal dieser Woche.

Von Justus, dem Gerechten, erzählt Günter Saalmann in seinem spannenden Roman „Mops Eisenfaust oder: Der Blindgänger/Justus im Krieg“. Und Justus heißt nicht nur der Gerechte …

Mit seiner Flucht aus einem russischen Kriegsgefangenenlager im dritten Jahr des ersten Weltkrieges beginnt die Geschichte des deutschen Soldaten Franz Klinger in „Ein Gewehr und fünfzig Schuss“ von Karl-Heinz Schleinitz. Außerdem ist von ihm zu erfahren „Wie aus dem Großvater wieder Budjonny wurde“.

Dieser Newsletter wurde übrigens geschrieben, als es das kleinere Deutschland noch gab und jeweils an seinem Gründungstag, dem 7. Oktober, auch einen „Tag der Republik“, an dem die DDR gewissermaßen Geburtstag hatte. Bezug darauf nehmen Hildegard und Siegfried Schumacher in ihrem Buch „Die Geburtstagsstraße“. Und damit zurück zum ersten Deal dieser Woche, dem Lesevergnügen von Berthel & Kaffke.

Soeben erschienen ist bei der EDITION digital „Wer kämmt das Haar in der Suppe? Texte für Kinder zum Lesen, Rätseln, Spielen und Zungenbrechen“ mit Texten von Gabriele Berthel und Illustrationen von Helga Kaffke – und zwar sowohl als gedruckte Ausgabe wie auch als E-Book: Ist das ein Buch für große Kinder? Eine Blättersammlung vom Baum der Erkenntnis? Ein Abenteuer? Ein Spaß? Was wollen uns die Schöpfer damit fragen? Vielleicht: Dürfen wir eine falsche Flagge streichen? Sind die Flöhe, die wir husten hören, krank? Brauchen Kosmonauten eine Himmelfahrtsnase? Wie lange hält Himmelarsch und Zwirn? Ein Buch fürs Leben. Zu dem man so viel ja nicht braucht: Suppe im Topf. Eine Schatztruhe. Im Kopf. Und einen Wunsch, der ein bisschen verrückt ist. Und ein Wunder, das nicht ganz geglückt ist … Pfiffige Rätsel, bizarre Wortspiele, vertrackte Zungenbrecher, bissige Sprüche, witzige Gedichte – und ein leise ironisches Märchen. Ein paar Antworten gibt es auch. Zum Glück keine erschöpfenden, denn unsere Kraft und Courage brauchen wir ja noch. Man kühlt nur sein Mütchen – und nie seinen Mut. Hinreißende Illustrationen aus zarten, aber kraftvollen Aquarellen. Ein Feuerwerk an Farben und Bildideen. Immer direkt entlehnt aus der alltäglichen Welt. So ist beispielsweise ein im Märchen vorkommender Junge in der Darstellung der Künstlerin kein herziger, anmutiger Knabe, sondern ein Lümmel mit Zahnlücke, Sommersprossen, Ohrringen und herausforderndem Blick aus wachen Augen. Diesem Bengel traut man zu, dass er Leuten, die immer gleich rot sehn, mit einem fürsorglichen Grinsen die Tomaten von den Augen nimmt. Dann können auch sie einen Blick riskieren. Und sich notfalls was denken dabei. Dieses Buch ist auch auf den zweiten Blick noch überraschend, weil es uriges, ungewöhnliches Leben zeigt in dieser gewöhnlichen Zeit: in der nirgendwo kostenlos rausspringt, was immer und überall drin ist für Geld. Haben Sie sich genau das nicht manchmal gewünscht? Hier können Sie es haben. Und gleich am Anfang steht die bereits eingangs erwähnte Anleitung zur Lebenskunst. Außerdem präsentieren wir zwei Zungenbrecher:

„WAS MAN IM LEBEN ALLES

MACHEN KANN

Geradeaus gehn, aber auch: um die Ecke.

Was offen liegt, sehn,

aber auch in Verstecke

kriechen – wo die Luft nicht so rein ist,

wo das Leben manchmal ganz schön gemein ist …

An einen harzigen Stamm den Rücken lehnen,

sich nach ganz wertlosen Dingen sehnen …

bösen Kläffern mutig das Maul zuhalten,

aus Hundertmarkscheinen Papierflieger falten,

sich zu ganz braven Worten

was ganz Freches denken,

auch an Nicht-Feiertagen Geschenke schenken,

einen Fußball als Mond an den Himmel schießen,

Klatschtanten in ein Schließfach schließen …

sagen, dass unreife Pflaumen zuckersüß

schmecken,

auf alle erhobenen Zeigefinger

Kasperpuppen stecken…

Dem GOLDNEN FISCH Angst machen mit

Spinnwebnetzen,

sich mit einem schneeweißen Kleid auf eine

grasgrüne Wiese setzen–

oder … oder … oder dergleichen.

Und das wird noch nicht reichen.

ZUNGENBRECHER 1

DER DICKE DIETER DÄMPFT IM DICKEN

DAMPFTOPF DREI DUTZEND DICKE

DAMPFNUDELN. DUFTE, DENKT DER DICKE

DIETER, DASS DER DICKE DAMPFTOPF FÜR

DAS DICKE DIETER-DINNER DREI DUTZEND

DICKE DAMPFNUDELN DÄMPFT!

SPINDELDÜRRE SPINATWACHTEL SPACHTELT

SPERRIGE SPAGHETTI, SPRÖDE SPROTTEN.

WENN SCHAUMSCHLAGEN SCHAUMIGEN

SCHLAGSCHAUM SCHAFFT, WAS SCHAFFT

BAUMSCHLAGEN?

SCHLAGSCHAUMSCHLÄGER SCHLAGEN KEINE

BÄUME, SCHLAGSCHAUMSCHLÄGER

SCHLAGEN SCHLAGSCHAUM!

DER SCHÄFER SCHERT SEINE SCHAFE, WEIL

SEINE SCHAFE IHN SCHEREN. AUCH WENN

DIE SCHAFE IHREN SCHÄFER NICHT

SCHEREN, SCHEREN DEN SCHÄFER SEINE

SCHAFE!

ZUNGENBRECHER 2

SCHACHTELSÄTZE SCHACHTELN SÄTZE

SCHACHTELFERTIG AUF DIE PLÄTZE –

FERTIGSCHACHTEL SATZ FÜR SATZ,

SCHACHTELPLATZ UM SCHACHTELPLATZ:

SCHACHTELPLATZSATZ AUF DEN SATZPLATZ

SCHÖNE SCHACHTELN, BLOSS KEIN

SATZSCHATZ!

ZIMPERLIESES ZAUBERZEBRA ZOTTELT

ZIELLOS ZUR ZISTERNE.

ZAPPELZOTTELZEBRA SAUBER

ZAUBERLIESE, ZAPPELZAUBER:

ZOTTELLIESES ZIMPERZEBRA

ZUCKELND ZIEHT ZUR ZAUBERWIESE.

ZAUMZEUG ZURREN, ZIMPERLIESE!

Ebenfalls ganz neu auf dem Büchermarkt ist ein zauberhaftes Frankreich-Buch mit zwei wunderbaren Texten von Gabriele Berthel und wunderbaren Aquarellen von Helga Kaffke – „VALSE MUSETTE. ROUEN en miniature“. Auch dieses Buch ist bei der EDITION digital sowohl als geduckte Ausgabe wie auch als E-Book erschienen: In der Kunstszene von Schwerin waren ihre Namen so bekannt wie das Staatstheater, das Museum oder das Schloss dieser Stadt – Helga Kaffke, Malerin, Gabriele Berthel, Autorin. Das war in der letzten Hälfte des gewesenen Jahrhunderts. In den Kulturnachrichten der jetzigen Landeshauptstadt spielen ihre Namen keine Rolle. – Beide Künstlerinnen leben seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr in Deutschland. Sie suchten ihren Lebensmittelpunkt zunächst in Frankreich und fanden ihn seit der Jahrtausendwende an der nordwestlichen Küste von Irland, in Mayo. Dort wurden sie sesshaft, heirateten, arbeiteten. Die Malerin Helga Kaffke ist im Winter 2017 gestorben. Ein Jahr vor ihrem Tod entstand das vorliegende Buch „ROUEN en miniature“, Aquarelle Helga Kaffke, Texte Gabriele Berthel. Erinnerungen der Künstlerinnen an ihre Zeit in der Wahlheimat Frankreich. – Helga Kaffke beweist mit den Altstadtbildern wieder einmal ihre große Meisterschaft im Aquarell. Mit Stoffstühlchen und Malblock, mit Farbkasten und Wasserglas sitzt sie in der Rue des bons enfants und malt – Balkone mit Begonien, Häuserfassaden, schwarze Vögel im durchsonnten Laub, eine alte Turmuhr. Altstadtmilieu. Wir können es hören und riechen. – Die wunderbaren Geschichten von Gabriele Berthel begleiten ihre Bilder. Sie erzählen vom Clochard, der durchs Motiv schlappt und als Farbklecks unsterblich wird. Oder von Wassili Wassiljewitsch, dem letzten sibirischen Tiger aus Pappmaché auf dem Podest des Kinderkarussells, der dem zärtlichen Musettewalzer entflieht, weil ihn die Taigasehnsucht packt … Je vous demande beaucoup – versäumen Sie es nicht, mit den beiden Künstlerinnen durch die französische Altstadt zu wandeln! Los geht’s:

LA RUE DES BONS ENFANTS

Nirgendwo sonst wachsen die Begonien so sehnsüchtig ins Licht. Es ist spät, wenn die Nacht davonkommt aus der schmalen Gasse. Auch die Schornsteine, aus den verwinkelten Dächern, wachsen in den Himmel, wie die Begonien, die Schornsteine mit den unvorstellbaren Neigungswinkeln, aber nur die erlauben ihnen den Blick in die Tiefe, auf das bucklige Trottoir, auf dem das Leben heute noch nicht begonnen hat.

Nur ein Maler hat seinen Platz schon gewählt, weiß leuchtet der Skizzenblock zu den Schornsteinen hinauf. Er selber sitzt, eine kleine dicke Person, auf einem grünen Stoffstühlchen, schwitzend, ein Meister der weiten Himmel und engen Altstadtgassen, von Häusern und Balkonen, in geheime Gespräche vertieft. Vor allem aber ist er, was die Schornsteine erst am Abend bezeugen werden, ein Meister ihrer selbst; sie werden sich, wenn die Sonne den Tag löscht und der Maler sein Werk beendet, so weit über die Straße beugen, über ein noch farbfeuchtes Blatt Papier, dass sie beinahe hinabstürzen, und genau in diesem letzten, gefährlichen Augenblick werden sie erkennen, dass sie sich, auf dem Blatt, nicht wirklich ähnlich sehen, aber es wirklich sind.

Noch schaut der Maler, versunken, in den ahnungslosen Himmel, und dann nach halb rechts, wo ein Gässchen in die Straße der guten Kinder mündet, dem Schlurren entgegen, das sich nähert und zu zwei nackten Füßen in Gummisandalen gehört, die nicht alleine kommen, sondern mit einer knittrigen Nylonplane, Kragen hochgeschlagen gegen die Windstille, dahinter ein roter Stoppelbart. Der Bart sagt nichts, aber aus der Plane gräbt sich eine Hand, und ein Finger fährt über das Malpapier, so, ungefähr, soll die Straße darauf verlaufen, war es das, oder was will der Clochard, der Finger sieht fettig aus, auf dem Papier ist nichts zu sehn; wenn der Grund, der Hintergrund zumindest, sich schon auf dem Block befände, der Mann wäre ein Geschenk des Himmels. Kein Hintergrund, kein Clochard, der Zufall in Gummisandalen ist zu früh erschienen, schlaff hängt die Nylonplane in seinen Kniekehlen, er hat das Malpapier verdorben, vielleicht, mit seinem fettigen Finger. Allez, allez!, sagt der Maler, ratlos, der doch wissen könnte, dass aus der Wand des Kirchleins um die Ecke ein winziger Wasserstrahl springt, unter dem hat der Mann sein Gesicht gewaschen, mit dem Handtuch hat er seine Sandalen geputzt, und sogar gekämmt hat er sich, vor der blitzenden Glasscheibe einer kleinen Galerie.

Der Maler schraubt sein Wasserglas auf, und er öffnet seinen Farbkasten, und die Straße, zögernd, kommt ihm entgegen, ihm und dem Clochard, der sich auf ihr entfernt, mit einem halb schleppenden, halb schwingenden Gang, ein springender Punkt in der krummen Häuserzeile, die er jetzt verlässt, um die Ecke ins Gässchen, und hindurch zum alten Markt, allez, allez, wo neben der Fischhalle eben der erste Laden öffnet, nur zwei Münzen der billige rote Wein, ganz ohne Hilfe findet das schartige Messer zum Korken, und sein Freund, der Schmerz, der Schmeichler, ist schon still.

Nun die Straße der berühmten Turmuhr, la Rue du Gros Horloge, und der Platz der gefeierten Kathedrale, widerstrebend verblasst ihr Gestein unterm strengen Sandstrahlgebläse. In den Kastanienkronen vor der Brasserie die Krähen sind verstummt, der Clochard, in seinen Bart, im Vorübergehen, brummt eine brüchige Melodie, ein neues Lied, ein besseres Lied, ihr Freunde, aber er kann nicht dichten, und die schwarzen Vögel im durchsonnten Laub nehmen ihr Gespräch wieder auf; dabei hat die Welt, und der Clochard weiß das, Angst vor ihm, vor seinem unerbittlichen Blick: sie schwankt, wenn er sie genau anschauen will, oder zumindest zittert sie ein bisschen, wie manchmal die Weinflasche in seiner Hand. Die ist jetzt leer, und er stellt sie an den Fuß einer Laterne, bevor er sich nach links wendet und jene Straße betritt, deren Name kaum noch lesbar ist auf dem grauen Schild, in der die Häuser, scheint es, der schon vor Jahrhunderten Reichen sich ganz leicht über die Fahrbahn neigen zu denen der Armen, nach ihnen greifen, der teure Stein nach dem billig gefügten Fachwerk. Es ist eine schöne, eine lange, eine ergiebige Straße, er kann sie zweimal am Tag gehen, wenn er nur vor der Stadtreinigung eintrifft, die den kostbaren Müll der Anwohner holt, bevor er, der Spezialist, ihn sortiert hat. Die Stadtreinigung ist der Feind des Clochards. C'est la vie, man muss schnell sein, so ist das Leben in der Unterwelt, unter bröckelnden Torbögen, unter der Anmutsgrenze, unter fremden Balkonen, zärtlich mit Begonien bepflanzt.

Die Sonne steht schon tief, aber noch wärmt sie die schönen Fassaden, die alten Türen, durch die, jeden Tag zur gleichen Zeit, Menschen treten, um daheim zu sein, und die eisernen Ziergitter der Balkone, und die Begonien, die in den Himmel wachsen.“

Erstmals 1991 hatte Günter Saalmann im KinderBuchVerlag den Roman „Mops Eisenfaust oder: Der Blindgänger/Justus im Krieg“ veröffentlicht: Eine Kindheit in einem Luftschutzkeller Kölns, Ausbombung, Übersiedlung mit der Mutter nach Sachsen, wo der Großvater auf einem Rittergut als Buchhalter Dienst tut. Der Junge erlebt den Umgang mit russischen Kriegsgefangenen, den Durchzug eines KZ-Todesmarsches. Er, der den Namen Justus, der Gerechte, trägt, erkennt sehr spät und nur ahnungsweise, dass er in einem verbrecherischen System denken gelernt hat. Er erlebt den Einmarsch der Roten Armee, die Repressalien seiner Mitschüler. Er beschafft sich eine Pistole ... Aber noch ist es nicht soweit und Mops noch ganz klein:

Mops Eisenfaust

Auf einmal ist er Mopswange und wieder ganz klein. Heitler schimpft. Unter dem Schrank mit den hohen Beinen sitzt Mopswange auf dem Topf, kippelt ein bisschen und lauscht auf Heitlers Stimme. Ein Tönchen quietscht aus seinem Hinterteil, Mutti sagt: „Untersteh dich, so ein großer Junge!“

„Sirene“, antwortet er listig und lässt ein kleines Gelächter los. Muttis Hand mit dem Staubtuch wischt eilig um die Schrankbeine, fährt in alle Rillen. Ihr Gesicht sieht aus, wie wenn sie sagt: Mit mir ist heute nicht gut Kirschen essen. Sie bleibt stumm.

Er mag ihr Kirschenessengesicht nicht. Also probiert er die Sirene noch einmal. Diesmal mit dem Mund. Aber doch so, dass sie denken muss, nicht mit dem Mund. „U-i-i-i...“ Er strengt sich mächtig an. Merkt sie den Spaß nicht? Wenn er wirklich müsste, würde er schnell zum Klo laufen, sie hat extra für ihn die Ziehkette mit Bindfaden lang gemacht. Und er hat ja auch seine Strickhosen über dem Po. Er sitzt bloß so zum Spaß auf seinem alten Topf, kippelt ein bisschen, hört zu, wie Heitler schimpft. „U-i-i-i...“ Oh, er kann laut quietschen, es juckt im Ohr. Er muss sie doch zum Lachen bringen. Dann legt sie bestimmt das Staubtuch weg, nimmt seine Wangen zwischen ihre Hände, dass sein Mund ganz spitz wird, sagt: Mopswange, mein tüchtiger Junge. Und er wiederholt: Mopfange.

„U-i-i-i...“ Er quietscht so toll es geht. Nichts. Sie ist hinaus gelaufen, er hört sie in der Küche hantieren. Vielleicht hebt sie sich das Lachen für nachher auf, wenn Tante Meier da ist. Die soll heute mit dem Eimer heraufkommen. Sie ist Muttis Kraft beim Saubermachen. Sie werden alle drei lachen, Mopswange am lautesten. Über den tüchtigen Jungen Mopswange, der so fein die Sirene machen kann.

Tüchtig, das ist er. Wenn der Weihnachtsmann kommt, hat er Geburtstag. Er weiß schon alles: Sirene. Die richtige, große Sirene steht auf dem Dach und kann heulen. Heitler. Er sitzt im Radio. Im Radio im Schrank, unter dem Mopswange sitzt. Heitler wohnt über Mopswange. Heitler kann schimpfen und dann auch wieder schöne Musik machen. Ja, Mopswange weiß Bescheid. Er spricht hochdeutsch, nicht kölsch wie Tante Meier, nicht wie Onkel Meier. Mutti sagt immer: Wir sprechen hochdeutsch, wir sind nicht Meier, Müller, Schulze.

Mopswange kann auch rechnen: Eins und eins sind zwei, zwei und zwei sind drei, drei und drei sind vier. Und so bis zehn. Danach kommt bloß noch die Zahl Mijonmijarde. Mijonmijarde Schweine. So einen Haufen Schweine hat Mops tatsächlich schon einmal gesehen. Das war in dem Dorf am großen Rheinwasser, da war Mops mit Onkel Meier Nüsschen sammeln. Manchmal nämlich, wenn Mutti und Tante Meier die Wohnung putzen, gehen Mops und Onkel Meier Nüsschen sammeln. Erst fahren sie mit der Straßenbahn, schauen aus dem Fenster, dann spazieren sie Hand in Hand. Der Onkel hinkt ein bisschen, sein eines Bein ist ab, ganz ab putiert, und der Doktor konnte es nicht wieder dran putieren, so hat er eins aus Holz genommen. Da hinkt Mops immer ein bisschen mit, so machen sie zusammen Spaß. Der Onkel muss sich oft ausruhen. Da sitzt er dann irgendwo still für sich, schluckt aus der Thermosflasche und macht: „Umb!“ aus seinem Hals.

Das eine Mal kroch Mops beim Sammeln unter einem Holzbalken durch. Da lagen viele Nüsschen, ganz blanke, manche mit einem kleinen Hütchen, die waren von dem Baum gefallen. Eben hatte er eine Hand voll gesammelt, drei große Nüsschen, da kamen sie, die Schweine. Mijonmijarde. Und ein großes dickes hat „uch, uch“ gemacht und toll gestunken und Mops umgeworfen. Schon wollte es Mops fressen, schnuffte schon mit seiner nassen Nase an der Hand herum, wo die Nüsschen drin waren.

Da kam Heitler mit einer schönen Musik, die an einem bunten Band um seinen Hals hing. Heitler hat gesungen, plötzlich aber die Musik ins Gras gelegt und ist Mops zu Hilfe geeilt. Mops erinnert sich noch an Heitlers weiße Kniestrümpfe, wie sie über den Balken sprangen. Die Schweine sind davongelaufen, und Mops hat nicht geweint, sondern mutig gerufen: „Haut ab, böse Schweine!“

Da wurde er aber schon über den Balken gehoben und auf Onkel Meiers Schulter gesetzt, der gerade ganz atemlos angeschnauft kam.“

Erstmals 1963 und 1970 erschienen im Kinderbuchverlag Berlin „Wie aus dem Großvater wieder Budjonny wurde“ (Reihe Robinsons billige Bücher) und „Ein Gewehr und fünfzig Schuss“ von Karl-Heinz Schleinitz: Petrograd 1917. Tausende Kilometer hat Franz Klinger nach seiner Flucht aus dem Kriegsgefangenenlager zu Fuß zurückgelegt. Tödlichen Gefahren hat er getrotzt: den hungrigen Wölfen, dem Treibeis der Wolga, Hunger, Schnee und Kälte. Nun steht er endlich am Hafen und hält Ausschau nach einem neutralen Schiff. Es soll ihn in die Heimat zurückbringen. Da legt sich eine Hand schwer auf seine Schulter. Ein Gendarm? Karl-Heinz Schleinitz berichtet vom Schicksal des deutschen Soldaten Franz Klinger, der während des ersten Weltkrieges aus russischer Gefangenschaft flieht, Revolution und Bürgerkrieg miterlebt und als Kompaniechef unter Tschapajew den Weg zur Kommunistischen Partei findet. Spellhagen, ein kleines Dorf am Rande des Kreises Useklam: um 1960. In diesem Dorf trugen sich die wunderlichen Geschichten zu zwischen Jürgen Stiebitz, einem zwölfjährigen Jungen, der feuerrotes Haar hat wie sein Vater, und seinem Großvater August Stiebitz. Beide mochten sich, obgleich sie sich dauernd kabbelten. Warum nannte man Großvater Budjonny? Stammt die Inschrift im finsteren, feuchten Verließ des Schlosses tatsächlich von ihm? Warum hat ihn der Baron nach dem Kapp-Putsch eingesperrt? Was ist mit seinem Freund Schramm, der 1930 schnell aus dem Dorf verschwinden musste? Zunächst aber treffen wir den Franz Klinger und einen Mitkriegsgefangenen:

DIE FLUCHT

„Ich halte es nicht mehr aus“, flüstere ich. „Ich fliehe.“

„Der Franz Klinger ist verrückt!“, antwortet Triebel, der auf der Pritsche unter mir liegt, als ob er mit einem anderen spräche. „Total verrückt! Der will von den Wölfen gefressen werden. Wär' zwar nicht viel dran an uns - immerhin, als Kompott... Nee, Franz. Selbst das gönn' ich ihnen nicht.“

„Mit Wölfen kann man fertig werden“, tuschele ich. „Musst einen ordentlichen Knüppel bei dir haben. Und wenn wir nicht zwei, sondern drei wären...“

Statt darauf einzugehen, kichert Triebel. Ich stelle mir vor, wie sein Adamsapfel dabei

hüpft.

„Was kicherst du?“, flüstere ich ärgerlich.

„Ich habe mir nur ausgemalt, wie ein Kavallerist loszieht. Zu Fuß. Wir stecken im Südural, Franz! Bis nach Deutschland über zweitausend Kilometer. Und die tippeln? Noch dazu im Winter? Gestern Nacht waren dreiunddreißig Grad.“

„Du hast eben kein Heimweh!“

„Was weißt du“, antwortet Triebel. Seine Stimme ist seltsam verändert. Also doch Heimweh? Ich werde einen günstigeren Augenblick abwarten, um ihn doch noch herumzukriegen.

Die Gelegenheit bietet sich am nächsten Tag. Wir sind einem Kommando zugeteilt, das Bäume fällt, und arbeiten abseits von den anderen. Wir haben hinter einem Gebüsch den knietiefen Schnee weggeschoben und uns ein Feuer gemacht. Gelegentlich ruhen wir daran aus. Zuerst fällt kein Wort. Wir sitzen, die klammen Hände den Flammen entgegen gestreckt, halten die Augen geschlossen und genießen, wie die Wärme langsam in den Körper kriecht. Erst taut der Reif von den Augenbrauen und Bärten. Dann tauen die Lebensgeister.

„Erzähle von zu Hause“, bitte ich. Ich will ihn an sein Heimweh erinnern.

Der Freund erzählt, erst stockend, als wäre die Stimme noch eingefroren, dann immer fließender von seinem Berlin. Von dem Hinterhof, in dem er groß geworden ist. Von einer riesigen Fabrik, Halle an Halle, eine ganze Stadt für sich, in der früher Maschinen gebaut und jetzt auch Granaten gedreht werden. Von den Versammlungen der Berliner Arbeiter. Dreißigtausend hatten noch wenige Tage vor Beginn des Krieges gegen das aufkommende Unheil protestiert.

Ich komme aus einem kleinen Dorf in Ostpreußen. Eine solche Menschenmenge kann ich mir kaum vorstellen. Aber eins ist mir klar: Was muss das für eine Kraft sein, wenn dreißigtausend Arbeiter das gleiche wollen und fordern!

Plötzlich beginnt Triebel zu singen. Nicht laut, nur so vor sich hin. Er hat eine etwas heisere Stimme, aber er singt gern. Und es hört sich gut an. Dieses neue, mir unbekannte Lied, das er angestimmt hat, gefällt mit so gut, dass ich darüber mein Vorhaben vergesse. „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ singt der Freund, und nun die zweite Strophe: „Seht, wie der Zug von Millionen endlos aus Nächtigem quillt...“

Ich starre in das Feuer und vergesse, wo wir sitzen, ich höre nur das Lied und sehe hinter den Flammen Gesicht an Gesicht, Hunderte, Tausende - eine unübersehbare Menge schmaler Triebelgesichter, und höre, wie sie alle den Schluss singen: „... Ewig der Sklaverei ein Ende, heilig die letzte Schlacht!“ Dann ist Stille. Nur über uns das schwache Pochen eines Spechtes, in der Ferne Axtschläge und Kreischen von Sägen.

„Noch mal!“, flüstere ich, als ob man hier in der froststarrenden Einsamkeit des Waldes nicht laut sprechen dürfte. Und diesmal singe ich mit. Es dröhnt mir in den Ohren, dabei kommen die Worte kaum über meine Lippen, so leise forme ich sie, bis hin zu den letzten, „... heilig die letzte Schlacht!“

„Begreifst du nun?“, sagte Triebel. „Ich habe einfach keine Lust, von hier zu fliehen. Soll ich wieder Granaten abfeuern, die meinen Chef reicher und reicher machen? Soll ich womöglich für ihn ins Gras beißen? Nee, ich bin froh, dass der Krieg für mich zu Ende ist.“

„Eben hast du noch gesungen „heilig die letzte Schlacht“, sage ich. „Und nun - überhaupt nicht mehr kämpfen?“

Triebel sieht mich an, als hätte ich etwas Dummes gesagt. „Das ist etwas anderes“, meint er dann. „Eines Tages werden wir Arbeiter in der Stadt und ihr auf den Gutshöfen die Waffen gegen unsere Herren richten, damit die Fabriken und das Land endlich uns gehören. Diese Schlacht wird die letzte sein. Wenn die Stunde heran ist - ich werde mein Leben nicht schonen.“

Wieder bin ich meinem Ziel nicht näher gekommen. Die nächsten Tage ist Triebel sehr nachdenklich. Plötzlich fragt er mich, wie es nun

mit der Flucht stünde.

„Ich denke, du willst nicht?“

„Na hast du denn kein Heimweh?“, sagt er. „Aus dir soll einer schlau werden!“

Ich bin verblüfft,

„Ich habe auch eine Mutter, die sich sorgt“, antwortet Triebel leise. „Aber das ist es nicht allein. Die letzte Schlacht, sie wird bald geschlagen werden, bei uns zu Haus, Ich will dabei sein.“

Ich verstehe seine Andeutungen nicht, sie sind mir auch einerlei, die Hauptsache ist, er macht mit. Ich greife in meiner Freude nach seiner Hand.

„Und wie ist das mit dem dritten Mann?“, fragt Triebel. „Du weißt - wegen der Wölfe!“

Der Kerl nimmt meine Argumente!

„Ich sehe“, sagt Triebel, „du hast niemanden. Aber ich. Söder aus Stuttgart will mit.“

Wir entwerfen den Fluchtplan. Dann bereiten wir uns heimlich und gründlich vor. Wochenlang legen wir Tag für Tag von den kargen Brotrationen dünne Scheibchen zurück. Wir trocknen sie, damit sie haltbar werden. Auch die paar Stückchen Würfelzucker, die wir gelegentlich erhalten, wandern in die Verstecke. Vor allem bringen wir unsere Kleidung sorgfältig in Ordnung, so gut wie möglich. Erfrieren soll ein schlimmer Tod sein.

Endlich ist die Gelegenheit zum Ausbrechen günstig. Dieser Tag liegt dem Frühjahr zu, dem Frühjahr des Jahres 1917. Noch ist der Frost streng, und fast ein Meter hoch liegt der Schnee. Aber wenn wir länger warten und später aufbrechen, kommen wir ins Tauwetter. Dann erreichen wir die Heimat nie, wir verrecken in irgendeinem Sumpf.

An diesem Tag erhalte ich den Auftrag, im Duschraum unserer Bewacher ein Rohr zu enteisen. Das Badehäuschen bildet ein Stückchen der Lagergrenze. Das vereiste Abflussrohr führt ins Freie, ins Ödland, das hinter dem Badehaus liegt. Ich mache meine Arbeit gründlich. Sehr gründlich. Ich schlage das Rohr aus der Mauer, aber plötzlich ist das Loch größer. Wie ungeschickt du bist, Franz! Bring die Mauer wieder in Ordnung! Und so füge ich Stein auf Stein. Kaum ein Unterschied zu den alten Fugen. Nur dass ich Erde verwende, die sofort gefriert.

Dann ist die Nacht heran. Wir schleichen, ausgerüstet mit allem Gesparten und eingemummelt, ins Badehaus. Ein Druck auf die dünne Mauer. Sie gibt nach. Vor uns die Freiheit. Wir hasten durch den tiefen Schnee. Nur weg! Ein Sturm ist unser Verbündeter, er bläst vom Osten her, fasst uns in den Rücken, hebt uns der Heimat zu und verweht hinter uns alle Spuren. Ist uns das Erste gelungen?

Die Nächte marschieren wir durch. Gegen Morgen kriechen wir ins Dickicht, bauen eine Schneehöhle, strecken uns darin aus und schlafen, bis der Abend wieder zum Aufbruch mahnt.“

Ebenfalls im Kinderbuchverlag Berlin legten Hildegard und Siegfried Schumacher erstmals 1967 „Die Geburtstagsstraße“ vor: Jane und Ulli sind beleidigt. Niemand will ihre Hilfe: nicht auf dem Kartoffelacker und nicht im Rinderstall. Das ist nichts für Knirpse aus der dritten Klasse, meinen die Erwachsenen. Wenn die Meier-Line die beiden nicht auf eine gute Idee gebracht und Opa Annersrüm nicht ein bisschen mitgeholfen hätte, dann wäre es sicherlich schiefgegangen mit dem Geburtstagsgeschenk. Flüssig, spannend und humorvoll erzählen die Autoren die Geschichte aus dem Dorf Schwalbitz. Aber zunächst erleben Ulli und Jane eine große Enttäuschung. Dabei haben sie doch eine so gute Idee, glauben sie jedenfalls:

1. Kapitel

Die Sonne schickt ihre wärmsten Strahlen, den Rest vom Sommer. Es sind nicht mehr die heißen, die die Haut braun sengen. Doch sie treiben Jane und Ulli blanke Schweißtropfen aufs Gesicht. Mit wieselflinken Beinen laufen die beiden den sandigen Feldweg entlang. Zwischen ihnen pendelt ein dickbauchiger Kartoffelkorb. Staubwölkchen wirbeln unter ihren Füßen auf.

„Halt!“ Jane bleibt stehen und wischt sich mit der Schürze übers Gesicht. Dann streicht sie sich die Plusterhaare aus der Stirn und will wieder nach dem Henkel greifen.

Aber Ulli nimmt den großen Rubbelkorb jetzt allein. Sie haben ihn ausgesucht, weil er sicher genauso viel fasst wie eine Kiepe. Nur rundet er sich breit und flach unter dem hohen Weidenbügel.

Jane und Ulli wollen bei der Kartoffelernte helfen, denn heute Mittag haben die Oktoberferien begonnen. Schnell den gepflasterten Anberg zur Bollerbrücke hinauf! Unter ihnen gleitet die Breke silbern zwischen Wiesen und Feldern dahin. Von hier aus sehen Ulli und Jane schon den riesigen Kartoffelschlag. Sie hören den Traktor bottern. Die Kopftücher der Sammelfrauen leuchten. Wieder setzen sich die beiden in Trab. Nun ist es nicht mehr weit.

Reihe um Reihe knabbert der Kartoffelgräber vom Feld ab. Mit seinen Schaufelarmen schleudert er Erdpakete zur Seite. Er deckt die braungelben Knollen auf, und viele fleißige Hände lesen sie in Kiepen.

„Vatis Motorrad“, brummelt Ulli, kraust die Nase und bleibt wie angewurzelt stehen. Als Agronom muss sich der Vater um so viele Felder kümmern. Aber ausgerechnet hier krebst er herum! Sollen sie sich nicht lieber verstecken, bis er fort ist? Und dann schummeln sie sich einfach unter die Sammler.

Doch Jane zerrt schon den Korb und Ulli, der daranhängt, hinter sich her. „Onkel Beck, Onkel Beck“, schreit sie, „wir sind hier!“

Ullis Vater spricht mit dem Traktoristen und hört es nicht. Der Traktor tuckert. Er tuckert lauter, als Jane schreien kann. Sie zieht Ullis Vater an der Jacke. Er dreht sich um.

„Wir sind da! Wo sollen wir anfangen?“

„Ihr Knirpse wollt helfen?“ Der Traktorist lacht.

Da fährt Jane auf: „Knirpse! Wir sind dritte Klasse. Bald neun Jahre alt. Nicht wahr, Onkel Beck?“

„Ja, das stimmt. Aber helfen, Kinder, das geht nicht. Ihr könntet euch verheben. Euer Korb ist viel zu groß.“

„Vati, wir sammeln ihn nicht voll.“ „Nur halb.“ „Noch weniger, wenn du willst.“

„Nein, es kommt nicht infrage!“

Ulli und Jane lassen den Kopf hängen.„Onkel Beck, du kannst uns doch nicht nach Hause schicken“, sagt Jane traurig, und in ihren Augen schwimmen Tränen, weil man sie nicht haben will.

Oma Annersrüm mischt sich ein. Das blaue Kopftuch trägt sie tief in die runzlige Stirn gebunden. Die Zipfel hängen ihr links und rechts wie zwei Rattenschwänze auf den Rücken. „Spielt lieber, Kinder! Als ich so alt war wie ihr, musste ich schon rackern, mehr, als mir lieb war. Geht spielen, Jane, das ist viel gesünder.“

„Da hört ihr’s. Ab mit euch!“

Jane zieht die Tränen hoch, die ihr durch die Nase rutschen wollen. Ulli muss an dem Kloß schlucken, der im Hals drückt. „Immer spielen!“ mault er. Aber da fällt ihm etwas ein. „Vati, unsere Republik hat doch bald Geburtstag. Bis dahin sollen die Kartoffeln raus. Das schenkt unser Dorf der Republik, nicht wahr?“

Der Vater nickt.

„Siehst du, Jane und ich sind auch Dorf!“

„Aber nur das kleine. Und das muss noch wachsen! Ab morgen helfen außerdem die beiden neunten Klassen aus Lindenau. Unsere Susi ist auch dabei. Passt auf, am Siebenten können wir beruhigt feiern. Und nun marsch nach Hause, spielen!“

„Unsere Suse kann helfen“, knurrt Ulli, als sie am Feldrain stehen. „Spielen, ph! Da pfeif ich drauf!“

„Und ich erst“, schnieft Jane.

Sie schaut nicht auf die brennroten Hagebutten am Wegrand, Ulli hat keinen Blick für die blauen Schlehenkugeln. Der Weg ins Dorf wird ihnen lang, endlos lang. Schließlich liegt es doch dicht vor ihnen mit seinen niedrigen Einstockhäusern. Nur auf der „Blauen Schwalbe“, dem Dorfkrug, sitzt ein zweiter Stock. Seine Fenster gucken klein und blank auf das Katzenkopfpflaster. Zwischen den Kastanienbäumen lugen Schule und Kirche hervor. Wie auf einer Insel stehen sie mitten in Schwalbitz. Die Straße windet sich um sie herum.

Ulli und Jane wohnen abseits vom Dorf in den Wiesen. Ihr Haus ist nagelneu wie frisch aus dem Baukasten. Links und rechts davon erheben sich die beiden Nachbarhäuser ebenso hell und neu und stattlich. Ihre roten Ziegeldächer leuchten vor dem mattblauen Herbsthimmel. Es sind die höchsten und größten Wohnhäuser von ganz Schwalbitz. Vier Familien passen in eines hinein, und jede hat ein Badezimmer. „Ganz neumodsch“, meint Opa Annersrüm. Er hat mitgebaut. Er ist der Genossenschaftstischler und Stellmacher in einer Person.

Seitlich von den Neubauten zur Breke hin schimmern weiß sechs Rinderställe. Sie sind auch nicht alt. Das ist das Reich von Ullis Mutter. Sie arbeitet als Zootechnikerin in der Schwalbitzer LPG „Frohe Zukunft“.

„Ulli, ich weiß etwas. Wir helfen deiner Mutti.“

Janes Vorschlag verscheucht Ullis Trübsal. „Das ist eine gute Idee. Erst zu den Kälbchen.“

Sie laufen durch das Wiesengras, springen über schmale Gräben und schlüpfen durch stachlige Koppelzäune. „Halt!“

Ulli und Jane stoppen, drehen sich um. Im Tor vom Mastbullenstall steht Ullis Mutter. „Wo wollt ihr hin? Könnt ihr nicht lesen?“

Natürlich können sie das. In der dritten Klasse kann jeder lesen. Wie geölt sogar.

„Guckt mal!“ Ullis Mutter zeigt auf eine weiße Tafel mit schwarzer Schrift.

„Betreten für Unbefugte verboten!“, lesen Ulli und Jane.

„Das heißt, ihr dürft hier nicht herumschnüffeln wie neugierige Igel.“

„Wir wollen mitarbeiten, Mutti. Können wir nicht die Kälbchen füttern?“

„Nein, das geht nicht, dazu seid ihr noch zu klein. Ein andermal zeige ich euch wieder die Kälber. Aber heute habe ich keine Zeit. Allein dürft ihr nicht in die Ställe. Das ist verboten.“

Jane und Ulli sehen zu Boden. Keiner will sie haben, und sie würden so gern helfen.

„Lauft nach Hause und schaukelt! Die Sonne lacht nicht mehr lange.“ Sie gibt ihnen einen leichten Klaps auf die Schulter und eilt ins Futterhaus.

Ulli und Jane starren ihr nach. Sie tut gerade, als wenn sie in den Kindergarten gehören. Der Rubbelkorb steht zwischen ihnen.

Ulli stülpt ihn um und setzt sich rauf. Er räuspert sich die Kehle frei. „Wir sind Unbefugte.“

„Aber es ist doch auch unsere Genossenschaft“, flüstert Jane mit belegter Stimme.

„Schöne Ferien!“ Ulli trompetet in sein Taschentuch. „Hast du sie dir so vorgestellt?“´

Aber vielleicht wird ja aus den verpatzten Ferien und aus dem Geburtstagsgeschnek doch noch was. Warten wir es ab und lesen weiter. Das gilt natürlich auch für die Geschichten von Justus, dem Gerechten und Franz Klinger, dem geflüchteten deutschen Kriegsgefangenen und nicht zuletzt und vor allem für die beiden Bücher von Gabriele Berthel und Helga Kaffke – beide Angebote sind Angebote zum Lesen und zum Schauen, also zum doppelten Vergnügen.

Noch eine Kostprobe gefällig? Bitteschön, hier ist sie?

SCHÖNE AUSSICHTEN

Einmal werden die Sardinen ausbüxen

und frei schweben im Fesselballon,

die Sardinen mit dem Blechschaden,

die Sardinen, die es dicke haben,

sich dünne zu machen im eigenen Saft.

Einmal, wenn du wieder mit der Nase im Dreck

liegst,

wirst du dir verwundert die Augen reiben:

denn es spiegeln sich Sardinen drin,

ausgebüchste, frei schwebend im Fesselballon.

Du wirst den Leuten, die immer gleich rot sehn,

freundlich die Tomaten von den Augen nehmen –

dann können auch sie einen Blick riskieren

und sich notfalls was denken dabei.

An dem Tag, an dem die Sardinen ausbüxen

und frei schweben im Fesselballon,

wirst du in Teufels Küche kommen –

einfach so, um ein Glas Wasser zu trinken

auf diese scharfe Geschichte.

Und du wirst, einfach so, auf den Pudding hauen

und ihn nicht mehr aus den Fingern lassen –

es wird ein ganz gewöhnlicher Tag sein,

einer, an dem nirgendwo kostenlos rausspringt,

was immer und überall drin ist für Geld.

An dem Tag, an dem die Sardinen ausbüxen

und frei schweben im Fesselballon,

wirst du an alles Erdenkliche denken –

aber nicht an einen Blechschaden,

aber nicht ans Dünnemachen im eigenen Saft.

Du wirst, wie die Sardinen, die ausgebüchsten,

endlich tun, was du bisher nicht getan hast.

Einmal in der Tinte sitzen: einfach so.

Und durchhalten bis zum blauen Wunder.

Viel Spaß beim Lesen und Schauen, einen goldenen Herbst und bis demnächst. Und noch eine letzte Frage: Wissen Sie eigentlich schon, wie lange Himmelarsch und Zwirn hält? Sie können sich sicher denken, wo Sie die Antwort auf diese Frage finden – oder auch nicht …

DDR-Autoren: Newsletter 12.10.2018 - Himmelarsch und Zwirn, Flucht aus Russland, Budjonny und ein besonderes