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Die Stadt Anatol von Bernhard Kellermann
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Preis E-Book:
10.99 €
Veröffentl.:
25.11.2025
ISBN:
978-3-68912-611-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 1047 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichten vom Meer, Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Familienleben
Abenteuerromane, Familienleben
Absturz, Aufbruch, Aufstieg, Bohrtürme, Erdölboom, Erfindung, Familienkonflikt, Fortschritt, Freundschaft, Geheimnisse, Gesellschaftsdrama, Gesellschaftssatire, Gier, Macht, Heimkehr, Heimliche Affären, Industrialisierung, Ingenieurroman, Intrigen, Kapital, Korruption, Kleinstadt im Wandel, Kleinstadtleben, Liebe, Leidenschaft, Machtspiele, Moderne, Ölfund, Ölrausch, Petroleumfieber, Provinzdrama, psychologische Tiefe, Selbstfindung, Skandalprozess, Spekulation, Tragik, Transformation
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Antonia Rothkehl hatte ihre Etüden beendigt und trat ans Fenster, um etwas Luft zu schöpfen; da sah sie oben im Eichenwald eine Rauchwolke emporsteigen, sie wuchs, sie wirbelte immer höher, wie ein Vulkan sah es aus, der schwarzen Qualm meilenweit in den Himmel emporschleudert. Ohne Zweifel, im Eichenwald brannte es. Auch im „Trajan“ hatte man den Brand bemerkt. Koroscheck erschien an einem Fenster des oberen Stockwerkes und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, Frau Koroscheck legte den Busen auf das Fenstersims. Im „Russie“ kletterten sie aufs Dach.

Der Qualm aus gelben und schwarzen Wolken breitete sich aus und zog der Stadt zu. Nun sah man den Wald nicht mehr. Es stank abscheulich, wie nach verbrannten Lumpen und Petroleum, ein Regen von Rußflocken ging auf die Stadt nieder. Ja, bei Gott, da konnte man ersticken. Die ganze Stadt war in der größten Erregung.

Das Militär musste hinauf in den Wald, auch Janko war oben. Rothkehl lief sofort entsetzt ins „Trajan“ hinüber, aber Ledermann aus Boryslaw lachte nur. Er sagte, das komme öfter vor. Er habe schon so viel Öl brennen sehen, wenn er das Geld hätte, säße er heute an der Riviera in einem Schloss. „Es muss ja eine heftige Eruption gewesen sein, alle Wetter!“, fuhr Ledermann fort. „Ich sage ja immer, dieses ganze Anatol schwimmt auf Öl.“

In der Nacht stand eine turmhohe, glutrote Feuersäule über der Stadt. Sie sah einfach fürchterlich aus, sie drohte, geradeswegs auf Anatol loszumarschieren und die ganze Stadt zu verbrennen. Man schloss die Fensterläden, um diese entsetzliche Flamme nicht mehr sehen zu müssen; man konnte ja glauben, die Welt geht unter.

Am nächsten Morgen stand die Rauchsäule noch immer über dem Wald, aber offenbar brannte der Wald nicht mehr. Die Soldaten hatten es also doch geschafft, da konnte man sehen, wie tüchtig unser Militär war. Am Abend drohte wieder die Feuersäule. Das ging so eine Woche, zwei Wochen. Am Tage Qualm, in der Nacht Feuer. Dann eines Tages, als man hinaufsah, war nichts mehr zu sehen. Nun vermisste man die Rauchsäule.

Am dritten Tage gegen Abend sah man endlich Jacques’ kleinen, gelben Fordwagen wieder über den Marktplatz fahren. Koroscheck stürzte Jacques entgegen. Welch ein Unglück! Aber Jacques sah ziemlich gleichmütig aus, wenn auch sein Gesicht vom Ruß geschwärzt war. Sein heller Anzug aber, ganz neu, war gänzlich verdorben, wenn er über den Ärmel strich, so flogen ganze Stücke davon. In ein paar Tagen wollten sie den Brand ersticken. Ja, nun wussten sie wenigstens, dass das Öl auch mitten im Wald saß.

Felix kam ins „Trajan“, er war besorgt um Jacques. Felix kam noch aus einem anderen Grund, er brachte eine Neuigkeit mit, die Wissenschaft triumphierte! Vor Jahren hatte Felix an einer Chronik Anatols gearbeitet und alle nur erreichbaren Quellen studiert. Da gab es manche Dunkelheiten in den Chroniken und Kirchenbüchern, jetzt erst fanden sie ihre Erklärung. Felix legte Jacques triumphierend eine Notiz auf den Tisch: Die Feuersäule da oben war gar nicht die erste Feuersäule, die Anatol erschreckte. Nein! Felix lachte über Jacques’ verdutztes Gesicht. Im Jahre siebzehnhundertsiebenundsechzig war der Flecken Anatol, wegen des sündhaften Wandels seiner Bewohner, von einem Erdbeben heimgesucht worden, und gleichzeitig erschien eine Feuersäule über der Stadt, die drei Monate brannte. An der Stelle, wo die Feuersäule aus dem Boden hervorbrach, hatte man später das Kloster zum Heiligen Rosenkranz errichtet. „Nun, Jacques, was sagst du dazu?“ Jacques war sehr nachdenklich. Das Öl strich also in der Richtung zum Kloster! Diese Notiz aus einem alten Kirchenbuch war von ungeheurer Wichtigkeit. Felix erinnerte sich noch an eine andere interessante Aufzeichnung. In der Stadt hatte es einmal eine Zisterne gegeben, der giftige Gase entströmten, so dass man sie wieder zuschütten musste. Aber er hatte vergessen, wo er diese Notiz gelesen hatte. Jacques geriet in große Erregung. „Du wirst diese Notiz wiederfinden!“, rief er aus. „Meine Gesellschaft bezahlt dir jeden Betrag, wenn es dir gelingt, die Zisterne zu lokalisieren.“ Felix hob beschwörend die großen Hände. „Nein, niemals, behaltet euer Geld. Aber dir zu Gefallen werde ich die Notiz suchen.“ Eine unbedeutende Zisterne konnte Jacques erregen, aber für rein wissenschaftliche Fragen interessierte er sich nicht im Geringsten. „Welcher Ansicht bist du nun eigentlich“, fragte Felix, „ist das Öl organischen oder anorganischen Ursprungs?“ – „Diese Frage“, erwiderte Jacques, „wollen wir den Professoren überlassen, die ihre festen Gehälter beziehen und Zeit haben, darüber nachzudenken. Für mich ist die Hauptsache die, dass es sich um eine Sache handelt, die ihren Preis auf dem Weltmarkt hat.“ Und er klingelte dem Kellner, um das Abendessen zu bestellen.

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