"Ich
kauf Leder und mach es selber. Wie bei den Arbeitslatschen."
Er reparierte die Schuhe tatsächlich, auf dem eisernen Dreifuß, laienhaft und
fluchend, aber am nächsten Tag kam von unten ein Nagel durch, scheuerte ihm den
Fuß wund, so dass aus dem Laufen die reinste Humpelei wurde. Und so fort.
Schließlich wurde es ihm zuviel: "Also, hör zu, Frau, ich hab mit Karl
Schmutzler geredet, er ist an der Harmonika interessiert. Hat mich schon früher
mal angesprochen. Er will sie seiner Tochter zu Weihnachten schenken."
"Und ich war bei Fahrrad-Hempel, hab mir alles angeguckt und erklären
lassen. Wir nehmen eins, das ganz stabil ist, legen lieber ein paar Mark drauf.
Was die Harmonika nicht bringt, müssen wir eben abzahlen."
Der Austausch wurde vollzogen, die Kunst überließ ihren Platz dem so dringend
benötigten Fortbewegungsmittel. Für Max war das Fahrrad, mit Vorderradbremse,
Rücktritt und seinem Dynamo zur Beleuchtung, ein Wunderwerk der Technik. Dazu -
lackglänzend und chromblitzend - eine Augenweide.
"Es trug mich von der Haustür bis zum Zecheneingang", sagt er.
"Aus diesem Grund hat sich das Rad durchgesetzt wie heutzutage das Auto.
Der Mensch macht sich's gern bequem, verstehst du. Von Tür zu Tür fahren, das
gefällt ihm. Nicht zu Fuß zur Bahn und nach Verlassen der Bahn wieder zu Fuß
oder mit irgendeinem anderen Beförderungsmittel. Nein, von Tür zu Tür!"
"Wenn damals ein Auto kam", schaltet sich Mutter trocken ein,
"ist er abgestiegen und hat sich hinter einen Baum gestellt. Aus Angst,
überfahren zu werden."
"Ach Unsinn", Max ist verlegen.
"Behaupte bloß, es stimmt nicht."
"Lediglich am Anfang", gibt Vater zu, "ich musste ja das Fahren
erst lernen. Außerdem war ich unsicher, den Verkehr nicht gewohnt. Andererseits
war das Absteigen bloß möglich, weil es noch wenig Autos gab. Heutzutage käme
man vor lauter Rauf und Runter gar nicht mehr vom Fleck."
"Jedenfalls war es eine große Erleichterung für dich", sage ich.
"Man konnte sich nach der Schicht auch mehr Zeit lassen. Mit dem
Ausfahren, Waschen und so. Nicht hopp, hopp, damit man nur ja den Zug
erreichte."
"Nur wenn er unterwegs eine Panne hatte", schränkt Mutter ein,
"wenn er flicken musste oder gar schieben. Dann stand kein Stecken
gerade."
"Vor allem später, im Krieg, als die Bereifung immer schlechter wurde und
die Gummilösung nichts mehr taugte, musste ich oft vom Rad. Bin manchmal fast
verrückt geworden."
Und ich stell mir vor, wie er am Straßenrand das Vorder- oder Hinterrad
ausbaut. Der Schlauch hat ein winziges Loch, das erst lokalisiert werden muss.
Also aufpumpen und ihn in einer Pfütze, im Graben nebenan so lange unter Wasser
drücken, bis man die Blasen aufsteigen sieht. Dann die Stelle markieren und
aufrauen, damit der Leim hält, dann kleben. Warten, bis die Verbindung stabil
ist - das vielleicht Schwerste, weil man dazu Geduld braucht. Geduld aber, das
kennen wir ja, hat Max nicht, immer wieder wird ihm das zum Verhängnis. So
flickt er, reißt ab, flickt erneut, zieht die Bereifung auf und muss nach ein
paar hundert Metern bereits erneut vom Rad.
"Einmal hat er das Rad in den Graben geschmissen", sagt Mutter,
"und ist zu Fuß weiter. Fast zwei Kilometer. Dann hat er sich's überlegt,
ist umgekehrt." Und nach einer Pause: "Nicht nur unterwegs hat Vater
Schläuche geflickt, sondern auch zu Hause. Wenn's nicht gleich klappte, war
dicke Luft. Wir haben uns verdrückt, du und ich."
Daran erinnre ich mich nicht, wohl aber an Augenblicke, da der Fahrradschlauch
gegen die Hofmauer klatschte, wenn die Reparatur nicht erfolgreich war.